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Werde du selbst!

Dieser Slogan hat mich stets etwas hoffnungslos gemacht. Ich wusste nie, wie ich darauf antworten konnte. Die impraktikable Forderung geht, zumindest in ihrer generellen Verwendung, zurück auf das sokratisch-platonische Verständnis des Lernens als "Wiedererinnerung" (cf. MENON). Beratung, z. B. in der Schule als Unterricht oder im therapeutischen Gespräch, wird infolgedessen verstanden als Hebammenkunst = Hilfe zur Selbstfindung: aus dem Schüler wird herausgelockt, was angeblich bereits tief in ihm liegt. Selbst zu denken heißt, das zu berühren, zu erinnern, was "immer schon in dir" steckt. Wahr ist danach nur, was wir selber machen (können). - Schauen ich mir andererseits meinen Leib an: es gibt nichts an ihm, das nicht vorher durch den Magen gegangen wäre. Meine Besonnenheit sollte dagegen keine Weiterung sein äußerer Einflüsse? Ich finde es viel weniger beunruhigend, mir vorzustellen, dass alles, was sich in meinem Gemüt befindet, durch irgendwelche sinnlichen Kanäle dort hineingelangt ist. Um mein Bewusstsein zu erweitern, müsste ich dann nicht in meinem "innersten Selbst" herumsuchen, sondern einfach nur neue Erfahrungen machen, einen neuen Sport lernen (hab' mich gerade zu einem Rückenschwimm-Kurs angemeldet!), eine weitere Sprache . . . Was gäbe meinem Selbst in dem Fall inneren Zusammenhalt: wenn es durch nichts als Erfahrung sich "aggregiert", die ja prinzipiell niemals aufhört? "Selbst" müsste dann eigentlich in dem liegen, was mich sinnlich anspricht. Viele Filmschauspieler begreifen erst bei der Uraufführung, wenn sie das ganze Werk sehen, was es mit ihrem Charakter oder dargestellten Selbst auf sich hat(te). Vorgezeichnet liegt es, wenn schon, nicht in der Figur, sondern in deren Geschichte. Ich fände es daher viel weniger verwirrend anstelle von Sei du selbst! gesagt zu bekommen: Spiel (d)eine Rolle! Oder besser noch: Lass dich ansprechen!