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Philosophie legt Grammatik aus

Daß die einzelnen philosophischen Begriffe nichts Beliebiges, nichts Für-sich-Wachsendes sind, sondern in Beziehung und Verwandtschaft zueinander emporwachsen, daß sie, so plötzlich und willkürlich sie auch in der Geschichte des Denkens anscheinend heraustreten, doch ebensogut einem Systeme angehören als die sämtlichen Glieder der Fauna eines Erdteils: das verrät sich zuletzt noch darin, wie sicher die verschiedensten Philosophen ein gewisses Grundschema von möglichen Philosophien immer wieder ausfüllen. Unter einem unsichtbaren Banne laufen sie immer von neuem noch einmal dieselbe Kreisbahn: sie mögen sich noch so unabhängig voneinander mit ihrem kritischen oder systematischen Willen fühlen: irgend etwas in ihnen führt sie, irgend etwas treibt sie in bestimmter Ordnung hintereinander her, eben jene eingeborne Systematik und Verwandtschaft der Begriffe. Ihr Denken ist in der Tat viel weniger ein Entdecken als ein Wiedererkennen, Wiedererinnern, eine Rück- und Heimkehr in einen fernen uralten Gesamt-Haushalt der Seele, aus dem jene Begriffe einstmals herausgewachsen sind – Philosophieren ist insofern eine Art von Atavismus höchsten Ranges. Die wunderliche Familien-Ähnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen Philosophierens erklärt sich einfach genug. Gerade, wo Sprach-Verwandtschaft vorliegt, ist es gar nicht zu vermeiden, daß, dank der gemeinsamen Philosophie der Grammatik – ich meine dank der unbewußten Herrschaft und Führung durch gleiche grammatische Funktionen – von vornherein alles für eine gleichartige Entwicklung und Reihenfolge der philosophischen Systeme vorbereitet liegt: ebenso wie zu gewissen andern Möglichkeiten der Welt-Ausdeutung der Weg wie abgesperrt erscheint. Philosophen des ural-altaischen Sprachbereichs (in dem der Subjekt-Begriff am schlechtesten entwickelt ist) werden mit großer Wahrscheinlichkeit anders »in die Welt« blicken und auf andern Pfaden zu finden sein als Indogermanen oder Muselmänner: der Bann bestimmter grammatischer Funktionen ist im letzten Grunde der Bann physiologischer Werturteile und Rasse-Bedingungen. NIETZSCHE Jenseits von Gut und Böse 20

Moral ruht im Glauben

Was die Philosophen »Begründung der Moral« nannten und von sich forderten, war, im rechten Lichte gesehn, nur eine gelehrte Form des guten Glaubens an die herrschende Moral, ein neues Mittel ihres Ausdrucks, also ein Thatbestand selbst innerhalb einer bestimmten Moralität, ja sogar, im letzten Grunde, eine Art Leugnung, dass diese Moral als Problem gefasst werden dürfe. NIETZSCHE Jenseits von Gut und Böse 186

Die Wahrheit ist immer auch eine Modeerscheinung

Jede Zeit hat ihre eigene göttliche Art von Naivetät, um deren Erfindung sie andre Zeitalter beneiden dürfen: – und wie viel Naivetät, verehrungswürdige, kindliche und unbegrenzt tölpelhafte Naivetät liegt in diesem Überlegenheits-Glauben des Gelehrten, im guten Gewissen seiner Toleranz, in der ahnungslosen schlichten Sicherheit, mit der sein Instinkt den religiösen Menschen als einen minderwerthigen und niedrigeren Typus behandelt, über den er selbst hinaus, hinweg, hinauf gewachsen ist, – er, der kleine anmaassliche Zwerg und Pöbelmann, der fleissig-flinke Kopf- und Handarbeiter der »Ideen«, der »modernen Ideen«! NIETZSCHE Jenseits von Gut und Böse 58

Horrorfilme als Quelle der Moral

Ich wüsste nicht, dass ich bereits Krebs hätte, rechne aber fest damit, irgendwann daran zu sterben. Nach allen Fachbüchern, die ich zu dem Thema las, scheint Krebs unabwendbar, eine Weiterung der Evolution. Wir Vielzeller sind auch heute noch von unendlich viel mehr Einzellern umgeben, die das Wagnis des Zusammenschlusses scheuten. Denn sein Preis ist die Möglichkeit des Krebses. Deswegen ist unser Leben tragisch. Aber wie sähe es ohne Krebs aus? Wie das von Einzellern! Wenn andererseits wir alles haben könnten problemlos durch Wollen und ewig lebten - wären wir keine Geschöpfe mehr, sondern Gott. Nur im Beschränktsein liegt das Kreatürliche: im "Krebs". Die Wissenschaft vermisst unsere Welt als das, was nicht bestehen muss ("kontingent" ist), und viele metaphysische Schlaumeier gefallen sich im Hegen der Fantasie, solche Schöpfung sei drum nicht der Rede wert. Und doch zerreißt es dir und mir das Herz, wenn etwas oder jemand, an dem wir hingen, aufhörte zu existieren. So ist es gerade die Möglichkeit des Todes, welche unser Denken und Muten in immer empfindlichere Höhen treibt - und entspringt der Beschränktheit nicht nur unser Leiden, sondern auch, dass wir s i n d. Als menschliche Wesen können wir das Entsetzliche nicht tilgen; andererseits steht es sehr wohl in unserer Macht, es nicht zu vermehren. Ein guter Mensch ist jener, der dem Leiden mit Würde begegnet und davon absieht, es spontan zu vergrößern. Es ist diese Polarität zwischen unseren Möglichkeiten, dem Unglück etwas oder nichts hinzuzufügen, welche den Maßstab liefert für ein mehr oder weniger erfülltes Dasein. Personen, welchen der Sinn des Lebens abhanden gekommen ist, die nicht mehr wissen, was sie noch tun sollen, haben diese Möglichkeit - dem Unglück nichts hinzuzufügen - aus den Augen verloren. Das Gute ist folglich nicht möglich ohne das Böse, dem gegenüber es sich erhebt, und es gibt nicht Bedeutendes ohne Polarität. Um etwas Entscheidendes aufzuweisen, bedarf die Schöpfung des Krebses. Und wenn die Menschheit immer mehr den Weg des Guten einschlüge, würde das Böse immer mehr zum Möglichen, das weiter leben muss in unseren Gemütern, damit sein Gegenüber nicht zusammenbricht. Dies ist der moralisch entscheidende Grund für die Notwendigkeit des Horrorfilms: weswegen er - zur moralischen Entwicklung - gefördert und nicht weiter dem Bereich des Niederen zugeschlagen werden sollten.

Vom Heiligen Geist

"Deshalb sage ich: Alle Sünden können den Menschen vergeben werden, selbst die Gotteslästerungen, die sie aussprechen. Wer aber den Heiligen Geist lästert, wird keine Vergebung finden. Wer etwas gegen den Menschensohn sagt, dem kann vergeben werden. Wer aber gegen den Heiligen Geist redet, dem wird nicht vergeben werden, weder in dieser Welt noch in der kommenden." Matthäus 12:31-32 - Man muss allerdings verstehen, was mit "Heiligem Geist" gemeint ist, nämlich unsere Wissen. Die Bibelstelle sagt daher, dass alles vergeben werden kann, selbst die Lästerung Gottes, nur nicht, dass man sich selbst etwas vormacht. Es gibt für alles Vergebung, nur nicht für die Feigheit. Alle kommen in den Himmel, außer den Feiglingen! (Würde mich interessieren, wie der Islam das sieht. Ist auch in seinem Rahmen Gotteslästerung verzeihlich?)

Hang zur Faulheit

Jener Reisende, der viel Länder und Völker und mehrere Erdteile gesehen hatte und gefragt wurde, welche Eigenschaft der Menschen er überall wiedergefunden habe, sagte: sie haben einen Hang zur Faulheit. Manchen wird es dünken, er hätte richtiger und gültiger gesagt: sie sind alle furchtsam. Sie verstecken sich unter Sitten und Meinungen. Im Grunde weiß jeder Mensch recht wohl, daß er nur einmal, als ein Unikum, auf der Welt ist und daß kein noch so seltsamer Zufall zum zweitenmal ein so wunderlich buntes Mancherlei zum Einerlei, wie er es ist, zusammenschütteln wird: er weiß es, aber verbirgt es wie ein böses Gewissen – weshalb? Aus Furcht vor dem Nachbar, welcher die Konvention fordert und sich selbst mit ihr verhüllt. Aber was ist es, was den einzelnen zwingt, den Nachbar zu fürchten, herdenmäßig zu denken und zu handeln und seiner selbst nicht froh zu sein? Schamhaftigkeit vielleicht bei einigen und seltnen. Bei den allermeisten ist es Bequemlichkeit, Trägheit, kurz jener Hang zur Faulheit, von dem der Reisende sprach. Er hat Recht: die Menschen sind noch fauler als furchtsam und fürchten gerade am meisten die Beschwerden, welche ihnen eine unbedingte Ehrlichkeit und Nacktheit aufbürden würde. Die Künstler allein hassen dieses lässige Einhergehen in erborgten Manieren und übergehängten Meinungen und enthüllen das Geheimnis, das böse Gewissen von jedermann, den Satz, daß jeder Mensch ein einmaliges Wunder ist; sie wagen es, uns den Menschen zu zeigen, wie er bis in jede Muskelbewegung er selbst, er allein ist, noch mehr, daß er in dieser strengen Konsequenz seiner Einzigkeit schön und betrachtenswert ist, neu und unglaublich wie jedes Werk der Natur und durchaus nicht langweilig. Wenn der große Denker die Menschen verachtet, so verachtet er ihre Faulheit: denn ihrethalben erscheinen sie als Fabrikware, als gleichgültig, des Verkehrs und der Belehrung unwürdig. Der Mensch, welcher nicht zur Masse gehören will, braucht nur aufzuhören, gegen sich bequem zu sein; er folge seinem Gewissen,welches ihm zuruft: »sei du selbst! Das bist du alles nicht, was du jetzt tust, meinst, begehrst.« NIETZSCHE Schopenhauer als Erzieher

Frauen pflanzen sich eher fort

MELISSA A. WILSON SAYERS ist Professorin an der Arizona State University für Biologie; sie ist auch Mathematikerin, die sich für das Schicksal des Y-Chromosoms interessiert. In dem Interview hier beschreibt sie ihre Forschungen und das überraschende Ergebnis, dass wir - statistisch gesehen - "mehr Großmütter als Großväter" haben. Das ist intuitiv nicht gleich zu verstehen, ich illustriere es daher an einem Beispiel, welches sich einer Vereinfachung bedient: wenn in den letzten 5 Millionen Jahren 100 Kinder geboren worden wären, hätten diese 50 Väter und 100 Mütter. Oder: von 100 Männern und 100 Frauen haben im Laufe der Menschheitsgeschichte alle Frauen, aber nur die Hälfte Männer Kinder gehabt. Oder: die Väter hatten zwei Frauen - die Nicht-Väter keine. Dies sind "Gender"-Verhältnisse, welche Melissa aus dem Genom der Menschheit gerechnet hat. Männer (Träger des Y-Chromosoms) zerfallen infolgedessen in "Gewinner" und "Verlierer" in puncto Fortpflanzung. Das hat psychologische aber auch moralische Folgen. Etwa wirft es die Frage auf, ob Frauen, wenn sie Gleichstellung anstreben, diese im Hinblick auf männliche "Gewinner" oder "Verlierer" fordern. Natürlich werden sie die Gewinner meinen. Die Gleichstellung mit diesen soll der Gesetzgeber zuwege bringen. Wie aber, wenn die männlichen "Verlierer" Anrechte auf dasselbe Sponsoring seitens des Staates erhöben, um mit den "Gewinnern" gleichgestellt zu werden? - Die psychologischen Folgen wären, wenn sich Melissas Befunde erhärten, auch nicht ohne. Die Männer hätten dann entwicklungsgeschichtlich ein 50%-Aussicht, leer auszugehen, was die Chancen der angriffslustigeren erhöhen dürfte und insgesamt einen höheren Fortpflanzungstrieb motiviert, während die Frauen keinen "Gewinner" für sich reklamieren könnten, sondern tendenziell immer mit einer anderen teilen müssten. Was in beiden Lagern den Stress-Level erhöhen dürfte. - Auch scheint sich der Gedanke oder das Gebot der Gleichheit nicht aus der Entwicklungsgeschichte ableiten zu lassen, sondern ein eher ideologisches Konstrukt zu sein.

Platos Staat . . .

... ist wahrscheinlich eines der bedeutendsten und auch schönsten Bücher, die je geschrieben wurde, aber vollkommen unleserlich, indem die Übersetzer sich ihm auf Knien nähern.Ich "übersetze" den Anfang dagegen mal ins Gemeindeutsche: Gestern ging ich mit Glaukon, dem Sohne des Ariston, hinunter zum Hafen. Zur Göttin wollten wir beten, uns aber auch den Festzug anschauen, der zum erstenmal stattfand. Unsere Leute machten keinen üblen Eindruck, die Thraker brauchten sich ebenfalls nicht zu verstecken. Nachdem wir gebetet, uns sattgesehen hatten, machten wir uns auf den Weg zurück in die Stadt. Da erblickte uns Polemarchos aus der Ferne, der Sohn des Kephalos, und jagte uns seinen Sklaven hinterher, dass wir auf ihn warten sollten. "Warten wir auf ihn", meinte Glaukon. Mit Polemarchos keuchten Adeimantos, der Bruder des Glaukon, heran und Nikeratos, und noch andere, die dem Festzug gefolgt waren. "Sokrates!" rief Polemarchos. "Gehst du schon nach Hause?" "Erraten", erwiderte ich. "Und wir alle hier?" "Was soll mit euch sein?" "Du musst uns erst noch erschlagen - oder du bleibst!" "Vielleicht gelingt es mir ja, euch zu überzeugen, mich auch so gehen zu lassen." "Und wenn wir dir gar nicht erst zuhören?" "Tja dann", meinte Glaukon. "Stellt euch vor, wir wären taub!" "Habt ihr überhaupt eine Ahnung", legte Adeimantos nach, "dass es heute Abend noch einen Fackellauf zu Ehren der Göttin auf Pferden geben wird?" "Auf Pferden?" fragte ich. "Wie das denn? Reichen sie etwa die Fackeln herum, während die Pferde aufeinander losgehen?" "Du sagst es", erwiderte Polemarchos. "Und dann gibt's noch eine nächtliche Feier, bei der man gewesen sein muss! Wir essen vorher etwas, dann gehen wir hin. Da kann man jede Menge junger Männer treffen und sich mit ihnen unterhalten. Verpasst diese Gelegenheit ruhig." "Ja, wenn das so ist", meinte Glaukon, "sollten wir vielleicht doch lieber bleiben." "Sieht so aus", stimmte ich zu.

Hail Caesar!

Religion spielt eine immer deutlichere Rolle in den Coen-Brüder-Filmen, war eigentlich schon immer da - von Anfang an - und bildet wahrscheinlich sogar den Kern ihres Werkes (dessen, was an diesen Filmemachern besonders anzieht). Ihre Philosophie erinnert an die Sterbeworte Huizingas: "Zum Glück hat der Mensch nicht das letzte Wort". In Hail Caesar! spielt der Beichtstuhl eine zentrale Rolle, der Held ist außerordentlich penibel in religiösen Fragen und der Monolog des Höhepunktes eskaliert in dem Wort "Glaube", welches eines der seelisch gefährdeten Mündel der Hauptfigur "vergessen" hat. Dem Gläubigen gegenüber stehen in Hail Caesar! die Wissenden (1) naturwissenschaftlich in Gestalt eines Wasserstoffbomben-Herstellers (2) ideologisch-nihilistisch in Form einer Gruppe nachtragender Drehbuchautoren um einen logorrhoischen Philosophieprofessor. Die Hauptfigur ist dagegen ehrerbietig, beherzigt die menschlichen Unfähigkeit, alles zu wissen, ist eingedenk unsereres Aufgeschmissenseins ohne "die Hilfe Gottes". Dieser Held ist außerordentlich flexibel, einfallsreich, intelligent, bereit zu jeder Herausforderung, welche das Leben an ihn heranträgt, und hat - was nur gläubige Menschen haben können - "fortune". Denn was liegt im Glaube anderes als die Auffassung, dass nicht alles, was wir zum Überleben brauchen, dem Bereich unserer Kontrolle entspringen kann - dass wir verloren wäre, wenn es sich so verhielte? Die erfolgreichen Hauptfiguren der Coens setzten auf die "Mitarbeit Gottes": den "glücklichen Zufall", dem auch in Hail Caesar! immer wieder das Voranbringende entspringt (herrlich einfach im Fall der Schulsport-Erfolge des unsichtbaren Sohnes unseres Helden). Das Glück kommt dabei freilich nicht umsonst, sondern winkt dem Tüchtigen zugl. Demütigen, der zugibt, nicht alles alleine gebacken zu bekommen. In No Country for Old Men gibt er die unmittelbare Verfolgung des Zieles sogar auf, überlässt sie ganz und gar der Fügung.

Heldenreise

Gestern auf einem Drehbuch-Seminar klagte mir eine Teilnehmerin ihr Leid mit der "Heldenreise", zu welcher ihr Betreuer sie allemal zwinge, sie aber wolle etwas ganz anderes erzählen. Der Gedanken der Heldenreise wird klarer, wenn man sich vor Augen hält, dass es drei Gruppen oder Hauptgenres des Fiktionalen gibt: Liebesgeschichten, dann solche, in denen die Hauptperson sich wandelt, und solche, in denen sie es nicht tut. Im letzen Fall haben wir es mit Action, Abenteuer oder Krimi zu tun, mit allem, was die Amis sinnbildlich "Cop-Story" nennen. Die Heldenreise dagegen beschreibt eine Umformung der Hauptfigur. Setzt man die Persönlichkeit einem Ufer gleich, das einen Flusslauf reguliert, beschreibt die Heldenreise eine Verschiebung des Laufes unter dem Einfluss der Strömung. Oder die Persönlichkeit ist ein Floss - auf dem Meer: die Heldenreise beschreibt, wie dieses, um nicht von den Wogen zerstört zu werden, umgebaut wird. Die Planken müssen dazu auseinander genommen und neu zusammengesetzt werden, wobei man ertrinken kann (etwa navigiert gerade auch die EU, wenn nicht die Weltordnung in diese Phase). Die populärste Version hiervon ist der Thriller. Nicht jede Geschichte ist deswegen aber ein Heldenreise. Genausogut kann von Zusammenhalt und Behauptung des Flosses erzählt werden, welches die Wellen bezwingt (Odysseus) oder von ihnen verschlungen wird (Macbeth). Anstatt einem Autor oder einer Autorin gleich Zurückgebliebenheit im Fall des Absehens vom Heldenreise zu unterstellen, sollte man erst mal ermitteln, ob sie vom Festhalten erzählen wollen oder vom Loslassen.

Heldenreise (Fortsetzung)

Meine US-Kollegen sagen gern, jeder Film zerfalle in eine "cop story" und eine "love story" - "cop story" ist dabei alles, was nicht "love story" ist - außer es ist eine "hero's journey". Was die "cop story" aber von der "hero's journey" unterscheidet, ist die Beweglichkeit des Ziels. Es verwandelt sich in der "hero's journey" bestenfalls in sein Gegenteil, wodurch "Feinde zu Freunden" werden. Mithin zerfällt jeder Film also in eine "love story" sowie entweder eine "cop story" oder eine "hero's journey". Die"hero's journey" läuft auf eine "Krise" (im Sinne der altgriechischen Medizin) hinaus: jenen Moment, in dem sich entscheidet, ob eine Entwicklung erfolgreich verläuft oder misslingt. Wann aber ist "eine Entwicklung erfolgreich"? Das hängt von Alter der Hauptfigur ab. Handelt es sich um ein Kleinkind, liegt der Erfolg in der Vergrößerung von Bewegungsfreiheit und zunehmendem Werksinn, beim Schulkind in der Äußerung von Leistungsbewusstsein, beim Jugendlichen in der Entwicklung von Hingebung und Treue. Beim jungen Erwachsenen besteht die Besserung im Sich-Einlassen aufs Innige, beim Erwachsenen im Annehmen des "erzieherischen Eros" (z. B. durch Lester Burnham in American Beauty). Die letzte mögliche "Heldenreise" ist die der älteren Menschen und besteht in der Überwindung des Existenz-Ekels sowie der neuen Fähigkeit, dem eigenen Leben sowie dem anderer einen vernünftigen und hinreichenden Sinn zu geben. Und die "Beweglichkeit des Ziels" - was hat es damit wieder auf sich? In der Regel begibt sich die "Heldenperson" (ohne zu wissen, dass sie eine ist) auf die "Reise" - um genau das Gegenteil dessen zu erreichen, was sie läutern würde. Das Kleinkind etwa will in diesem Fall seine Eltern beschwichtigen, das Schulkind sucht ihren Schutz, der Jugendliche will seine Identität vernebeln, der junge Erwachsene seine Mitwelt los sein, der Erwachsene sich ausschließlich selbst verwirklichen, der Alternde seinen Überdruss verspritzen. Wenn sie diese ihre ursprünglichen Ziele erreichen (wie etwa Michael Corleone im Paten), wäre das schlecht für sie und alle, verändern sie aber, was sie ursprünglich wollten, ist es ein Segen. Die Heldenreise dramatisiert diese "change" Prozesse, und es gibt manche, die finden, nur solche Geschichten lohne es sich zu erzählen.

Die Komödie zuendespielen und das Unglück ermüden

Buddhisten haben mich nie ganz für sich einnehmen können wegen ihres mangelnden Sinnes für den Ernst des Spiels. Auch haben sie nichts zu Träumen zu sagen, aus buddhistischer Sicht scheinen diese überflüssig. Diese Einstellung erinnert mich an die Ratlosigkeit tiefsinniger Menschen im Hinblick auf den Sinn fiktionaler Filme oder Landschaften. Die einleuchtendere Auffassung lebt für mich noch im Christentum, besonders im Dogma der Dreifaltigkeit. Ich versuche es mal (wieder) von Wittgenstein her zu fassen, der im Tractatus 4.0312 schreibt "Mein Grundgedanke ist, daß die 'logischen Konstanten' nicht vertreten. Daß sich die Logik der Tatsachen nicht vertreten läßt." Damit meint er, denke ich, dass der Sinn des Lebens, sein Zusammenhang oder Leim, aus dem es gehen kann, zwar unser Denken ausmacht, ohne selbst jedoch bedacht werden oder mehr als Erfahrung sein zu können. Unsere Welt ist eine Deutung, könnte m. a. W. anders sein, nicht aber sein "Leim", der unentwegt hält. Tractatus 6.4312 erhellt dazu: "Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, das heißt also ihr ewiges Fortleben nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch das Rätsel gelöst, daß ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben dann nicht ebenso rätselhaft wie das gegenwärtige? Die Lösung des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit liegt außerhalb von Raum und Zeit. (Nicht Probleme der Naturwissenschaft sind ja zu lösen.)" Wir können somit am Leben - vermittels der Welt - Sinn zwar erfahren, aber nicht "pur". So etwa wie wir im Kino die uns erregenden Personen nicht umarmen, die Widersacher nicht bekämpfen, die dargebotenen Speisen nicht essen können. Dies umschreibt, spekuliere ich, der Gedanke der Dreifaltigkeit: der Sinn, Gottvater, vermittelt sich als Gottsohn|Diesseits, und kann - sind wir nicht "von allen guten Geistern verlassen" - in diesem erlebt werden. Wir befinden uns nach solcher Auffassung in einer Art Spielfilm oder Geschichte, nach deren Ende - jede Geschichte hat ein Ende - wieder zu sich kommt, was ihr Sinn verlieh. Was wäre demzufolge zu tun, solange wir uns i n der Geschichte befinden? Jeder, der auf einem Filmset oder Theaterproben war, weiß, worauf es in solchen Fällen ankommt: die bestmögliche Vorstellung. Alles andere scheint weniger wert, insbesondere die "spirituelle Haltung", welche um des Schöpfers willen von seinem Werk absieht (wie wenn die Filme eines Regisseurs/Autors uns im Weg stünden, diesen selbst zu würdigen). Es ist verführerisch, das Jenseits im Diesseits anzustreben, da es sein Witz ist. Und doch muss zumindest ich bei dem Versuch immer an Leute denken, die alles dran setzten, sich nicht von einem Spielfilm "einwickeln" zu lassen im Bestreben, dadurch näher dem zu kommen, was ihn ausmacht. "Freilich", schreibt Wittgenstein dazu in den Philosophischen Untersuchungen 297, "wenn das Wasser im Topf kocht, so steigt der Dampf aus dem Topf und auch das Bild des Dampfes aus dem Bild des Topfes. Aber wie, wenn man sagen wollte, im Bild des Topfes müsse auch etwas kochen?"