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Korintherbrief

"Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er die Weisen zu Schanden mache, und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er zu Schanden mache, was stark ist". Paulus

Eigene Tugend erfinden

Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber mein Bruder, wenn du ein Stern sein willst, so mußt du ihnen deshalb nicht weniger leuchten! Und hüte dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne die, welche sich ihre eigne Tugend erfinden – sie hassen den Einsamen. NIETZSCHE

Friedrich Nietzsche: Der Ernst des Handwerks



Redet nur nicht von Begabung, angeborenen Talenten! Es sind große Männer aller Art zu nennen, welche wenig begabt waren. Aber sie bekamen Größe, wurden »Genies« (wie man sagt), durch Eigenschaften, von deren Mangel niemand gern redet, der sich ihrer bewußt ist: sie hatten alle jenen tüchtigen Handwerker-Ernst, welcher erst lernt, die Teile vollkommen zu bilden, bis er es wagt, ein großes Ganzes zu machen; sie gaben sich Zeit dazu, weil sie mehr Lust am Gutmachen des Kleinen, Nebensächlichen hatten als an dem Effekte eines blendenden Ganzen. Das Rezept zum Beispiel, wie einer ein guter Novellist werden kann, ist leicht zu geben, aber die Ausführung setzt Eigenschaften voraus, über die man hinwegzusehen pflegt, wenn man sagt »ich habe nicht genug Talent«. Man mache nur hundert und mehr Entwürfe zu Novellen, keinen länger als zwei Seiten, doch von solcher Deutlichkeit, daß jedes Wort darin notwendig ist; man schreibe täglich Anekdoten nieder, bis man es lernt, ihre prägnanteste, wirkungsvollste Form zu finden; man sei unermüdlich im Sammeln und Ausmalen menschlicher Typen und Charaktere; man erzähle vor allem so oft es möglich ist und höre erzählen, mit scharfem Auge und Ohr für die Wirkung auf die anderen Anwesenden, man reise wie ein Landschaftsmaler und Kostümzeichner; man exzerpiere sich aus einzelnen Wissenschaften alles das, was künstlerische Wirkungen macht, wenn es gut dargestellt wird, man denke endlich über die Motive der menschlichen Handlungen nach, verschmähe keinen Fingerzeig der Belehrung hierüber und sei ein Sammler von dergleichen Dingen bei Tag und Nacht. In dieser mannigfachen Übung lasse man einige zehn Jahre vorübergehen: was dann aber in der Werkstätte geschaffen wird, darf auch hinaus in das Licht der Straße. – Wie machen es aber die meisten? Sie fangen nicht mit dem Teile, sondern mit dem Ganzen an. Sie tun vielleicht einmal einen guten Griff, erregen Aufmerksamkeit und tun von da an immer schlechtere Griffe, aus guten, natürlichen Gründen. – Mitunter, wenn Vernunft und Charakter fehlen, um einen solchen künstlerischen Lebensplan zu gestalten, übernimmt das Schicksal und die Not die Stelle derselben und führt den zukünftigen Meister schrittweise durch alle Bedingungen seines Handwerks.

GESCHICHTE DES MÄNNLICHEN ELEMENTS – biologische Spekulationen nach Lester Ward

Das männliche Element taucht in der Natur erstmals zweifelhaft und kaum unterschieden auf im Hermaphrodismus der Hohltiere - als winziger Parasit, der sich an ein Weibchen anklammert, das fünfzig bis hundertmal so groß ist wie er und ihn bei sich trägt als ein bloßes Instrument der Befruchtung. Auch die meisten rankenfüßlerartigen Tiere sind Hermaphroditen, bei einigen von ihnen tauchen zwergenartige Männchen auf, die im Grunde nur aus dem bestehen, was sie zu ihrer Funktion brauchen. Man kann zwei bis vier davon auf den Weibchen feststellen. Sie treten weiterhin bei der Gattung der schalentierartigen Mitesser auf.

Das männliche Element beginnt seine biologische Laufbahn als Ergänzungsgeschöpf, das Stoffe in sich aufspart und immer mehr bestrebt ist, sie aufzusparen: verfügbare, für die Sache der Gattung noch unverwendete und je nach Typ formbare Bausteine – Variationsmaterial.

Bei den niederen Arten sind die Männchen stets in Überzahl, existieren rein zu Zeugungszwecken und gehen mit der Erfüllung ihrer Aufgabe zugrunde. Mit dem Männlichen kommt der Überfluss von zum Nutzen der Gattung unverwendeter Materie ins Spiel. In dem Maße, in dem auf der Stufenleiter der Tiere die Zahl der männlichen Individuen pro Weibchen abnimmt, fassen diese diesen Überfluss zusammen und realisieren ihn in sich selbst.

Worauf es ab ovo ankommt: dass kein Weibchen unbefruchtet bleibt. Daher die unentwegte Überproduktion an männlichem Element. Während das Weibchen infolge nur einer Befruchtung ganz von der Gattung eingenommen wird, bleibt das Männchen verfügbar, ausgestattet mit männlicher Kraft, die es spontan weder der Ernährung des Weibchens noch dem Schutz der Jungen zuwendet. Bei den niederen Arten bleibt den meisten Männchen wegen ihrer Überzahl der Koitus versagt. Nimmt ihre individuelle Mehrheit im Verhältnis zu den Weibchen ab, bleibt es doch beim Überangebot an Zeugungssubstanz, also Variationsstoff.

Bei allen höheren Arten wird das Männchen notgedrungen zum Prunkgeschöpf, fähig des Gesangs, der Kunst, des Sports oder der Intelligenz – des freien Spiels. Während das Weibchen ein Gewebe aufbaut, indem es niedere Energien durch die Assimilation der organischen Substanzen auf ihre eigene Ebene hebt. Der männliche Schmuck, seine Verführungsmittel, sind eitles Zuschaustellen lebloser Bildungen, Zeichen unsinnigen Aufwandes und maßloser Verschwendung. Die prächtigen Farben der Schmetterlinge sitzen auf kleinen Schuppen, die nicht das Geringste zum Leben beitragen. Die Farben der Vögel bilden sich in Federn, welche leblos sind. Wie die Blüte der Kunst, der Bildhauerei oder Malerei sich gerade an den Teilen der griechischen Tempel oder der Kathedralen entfaltet, die keinem parktischen Zweck dienen. (So erklärt man sich auch die Bildung der Tempelfriese, die unter den ästhetischen Endzweck fallen, da sie der Nützlichkeit entzogen sind.)

Das Weibliche ist so gesehen das Geschlecht der natürlichen Vorsorge, das männliche das der prunkvollen, unproduktiven Verschwendung. Das Weibchen hütet das Erbe, das Männchen liefert dessen Variation. Welche der Reglung bedarf. Während es die Männchen treibt zu befruchten, führt die Existenz der Weibchen zu Aussonderung oder Aufteilung in tüchtige Varianten, die erfolgreich sind, und den Rest, welcher versagt.

Der Aufwand, welchen die Natur im Männlichen betreibt, steht in keinem Verhältnis zum Resultat. Bei den Maikäfern kommt ein Weibchen auf 300 Männchen. Der Wind schüttelt dichte Pollen-Wolken von den Koniferen, um ein paar wenigen Körnern die Möglichkeit zu bieten, zufällig eine Eizelle zu befruchten. Der Geschlechtstrieb ist mit anderen Worten unbestimmt, die Natur ersetzt die Genauigkeit ihrer Schüsse durch Menge. Es liegt keine Absicht in der Wollust. Sie begleitet den Zeugungsakt, ist sich dabei aber selbst genug. Man muss nicht zeugen, um Lust zu empfinden. Hingegen reicht mitunter ein bestimmter Anblick, ein Geruch, um in Stimmung zu kommen. Ein Mann, der vor kurzem mit einer Frau schlief, kann durch ihren Geruch, den er noch ausströmt, einen anderen Mann in Erregung versetzen.

Auch das Weibliche ist nicht körperlich auf das Männliche angewiesen, um Lust zu empfinden. Dass es zu einer Zeugung kommt, ist eher ein Begleitumstand. Der weibliche Geschlechtstrieb ist ebenso unbestimmt wie der männliche. Sollte es, einem verborgenen Bedürfnis seiner Organe gehorchend, nach Befruchtung verlangen, so ist ihm doch nur ungefähr nach Wollust, nicht unbedingt nach dem Männchen. Wie eben das Männchen nicht geradezu das Weibchen, noch weniger die „Zeugung“ begehrt, sondern alleine Wollust.

Männchen wie Weibchen suchen in erster Linie Genuss. Wobei es sein mag, dass beider Organe nur im Koitus völlig zur Auswirkung kommen können – was sie aber nicht von Haus aus oder nur dunkel zu wissen scheinen. Damit es zur Befruchtung kommen kann, müssen zwei eher unbestimmte Begierden zusammenkommen.

Der Sieg über das Unorganische, den Tod, ist eine Folge der Verschwendung in der Natur. Der Triumph des Organischen verdankt sich einem unerhörten Aufwand, der jede Menge Ausschuss produziert, aus welchem sich Kunst, Geist und freies Spiel entwickeln. Wie das Weibchen sich hingibt an die Gattung so das Männchen an seine Kunst, an seinen Sport, an seinen Gesang. Erst wo das Verlangen bestimmtere Formen annimmt, wird die Überzahl der Männchen unnötig, damit auch die Prächtigkeit ihres Äußeren, welche irgendwann sogar von jener der Weibchen übertroffen wird (etwa im Fall der Gottesanbeterinnen).

Nietzsche gegen den Nihilismus

Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den kleinsten Menschen: allzuähnlich einander, allzumenschlich auch den Grössten noch!

Von da an sind alle meine Schriften Angelhaken: vielleicht verstehe ich mich so gut als jemand auf Angeln? ... Wenn Nichts sich fing, so liegt die Schuld nicht an mir. Die Fische fehlten .

Wir aber wollen die werden, die wir sind, — die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden!

Im Grunde weiß jeder Mensch recht wohl, dass er nur einmal, als ein Unikum, auf der Welt ist und dass kein noch so seltsamer Zufall zum zweiten Mal ein so wunderlich buntes Mancherlei zum Einerlei, wie er es ist, zusammenschütteln wird: Er weiß es, aber verbirgt es wie ein böses Gewissen — weshalb?

Bei den allermeisten ist es Bequemlichkeit, Trägheit, kurz jener Hang zur Faulheit . . . die Menschen sind noch fauler als furchtsam und fürchten gerade am meisten die Beschwerden, welche ihnen eine unbedingte Ehrlichkeit und Nacktheit aufbürden würde.

Manche leben in Scheu und Demut vor ihrem Ideale und möchten es verleugnen: sie fürchten ihr höheres Selbst, weil es, wenn es redet, anspruchsvoll redet.

Die junge Seele sehe auf das Leben zurück mit der Frage: was hast du bis jetzt wahrhaftig geliebt, was hat deine Seele hinangezogen, was hat sie beherrscht und zugleich beglückt? Stelle dir die Reihe dieser verehrten Gegenstände vor dir auf, und vielleicht ergeben sie dir, durch ihr Wesen und ihre Folge, ein Gesetz, das Grundgesetz deines eigentlichen Selbst. . . denn dein wahres Wesen liegt nicht tief verborgen in dir, sondern unermeßlich hoch über dir, oder wenigstens über dem, was du gewöhnlich als dein Ich nimmst.

Im Schmerz ist soviel Weisheit wie in der Lust . . . dass er weh tut, ist kein Argument gegen ihn, es ist sein Wesen.

Wie? Das letzte Ziel der Wissenschaft sei, dem Menschen möglichst viel Lust und möglichst wenig Unlust zu schaffen? Wie, wenn nun Lust und Unlust so mit einem Stricke zusammengeknüpft wären, daß, wer möglichst viel von der einen haben will, auch möglichst viel von der andern haben muß – daß, wer das »Himmelhoch-Jauchzen« lernen will, sich auch für das »Zum-Tode-betrübt« bereit halten muß?

. . . darum muß ich erst tiefer hinab, als ich jemals stieg: tiefer hinab in den Schmerz, als ich jemals stieg, bis hinein in seine schwärzeste Flut! So will es mein Schicksal . . . Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, daß sie aus dem Meere kommen. Dies Zeugnis ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muß das Höchste zu seiner Höhe kommen.

Ich schätze die Macht eines Willens darnach, wie viel von Widerstand, Schmerz, Tortur er aushält und sich zum Vortheil umzuwandeln weiß.

Wer wird etwas Großes erreichen, wenn er nicht die Kraft und den Willen in sich fühlt, große Schmerzen zuzufügen?

Solchen Menschen, welche mich Etwas angehn, wünsche ich Leiden, Verlassenheit, Krankheit, Mißhandlung, Entwürdigung, – ich wünsche, daß ihnen die tiefe Selbstverachtung, die Marter des Mißtrauens gegen sich, das Elend des Überwundenen nicht unbekannt bleibt: ich habe kein Mitleid mit ihnen, weil ich ihnen das Einzige wünsche, was heute beweisen kann, ob einer Werth hat oder nicht, – daß er Stand hält.