Dieses Blog durchsuchen

Taxi-Tage

Am denkwürdigsten kamen mir die Menschen Ende der 80er Jahre vor während meiner Zeit als Taxifahrer, als ich's täglich mit den unglaublichsten Exemplaren zu tun kriegte. Eingeprägt hat sich mir die Sache mit dem brennenden Porsche, der das bizarrste, zugleich rührendste Schauspiel beleuchtete. Ich war ein fauler Taxifahrer, mit Vorliebe nachts unterwegs und stand stundenlang an den entlegendsten Warteplätzen, um in Ruhe lesen zu können (ich erinnere mich an eine 800 Seiten dicke Biographie Stalins). Zwischendurch raste ich in meinem BMW mit Höchstgeschwindigkeit über den nachmitternacht-leeren Mittleren Ring und bin wie durch ein Wunder nie erwischt worden, sonst wäre der Führerschein weg gewesen. Eines Nachts presche ich vom Effnerplatz über den Isarring an die Biedersteinstraße, wo es einen winzigen Hügel gibt, darauf ein Baum. In diesen gerannt: ein lichterloh brennender Porsche, ein schrecklicher, zugleich sehr beeindruckender Anblick, der mir an die Nieren ging. Ich stoppte, stieg aus und erblickte zwei hockende Männer davor auf dem Gras, einen Polizisten sowie einen Playboy-Typen, der laut schluchzte. Der Polizist nahm ihn fast zärtlich in den Arm und sprach beruhigend: Er sei doch am Leben, alles werde wieder gut. Ich habe bis heute die Erleichterung im Gesicht des jungen Polizisten vor Augen, dass es keine Leichen gab. Dreht sich der Playboy zu ihm und jammert kopfschüttelnd: "Das verstehst du nicht. So ein Auto bekomme ich nie wieder."

Als Lohn nimm' heißes Blei

Nach dem Abitur hatte ich wie jeder normale deutsche Student seit dem Mittelalter ein katastrophales Verhältnis zu Rechtschreibung, zu schweigen von der Zeichensetzung - und wurde kuriert durch einen Schock, der binnen 2 Wochen meinen Rechtschreibsinn inaugurierte. Auslöser war Lobo, das Halbblut. So hieß der Charles Bronson nachempfundene Held einer Western-Reihe, die Pabel aus Rastatt verlegte. Die Leser waren damals Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg zur Arbeit, und die Heftchen mussten so getaktet sein, dass es alle 10 Seiten einen Höhepunkt, entweder eine Schlägerei oder eine Sex-Szene, gab. Dazwischen durchquerte der narbige Held in großer Einsamkeit die endlose Wüste. Ich hatte mir bald einen kleinen Karteikasten mit der Beschreibung aller denkbaren Arizona-Kakteen und "Gestrüpp"-Arten zugelegt. Es waren die Zeiten von Tipp-Ex und manche Manuskriptseite schließlich so zugekleistert, dass man sie stöhnend von vorne tippen musste. Erst später lernte ich alle möglichen Schriftstellertricks der Vor-Computerzeit kennen, diese Klippe zu umschiffen. Am genialsten fand ich Raymond Chandlers, der eine normale Manuskriptseite in der Mitte durchschnitt und, wenn er nicht zufrieden war mit seinem Text, die halb so große Seite neu und neu tippte, bis sie die Prüfung bestand. Auf jeder dieser kleinen Seiten, die sich zu Chandlers Werken scharen, musste etwas stehen, das rechtfertigte, dass man sie nicht wegwirft. So lautete die Maxime dieses Dichters. Wer mal in Paris ist, kann sich, wenn er möchte, im Balzac-Museum die abenteuerliche "Textverarbeitung" anschauen, mit welcher Honoré seine 600-Seiten-Manuskripte in 6 Wochen durch ca. 15 Fassungen jagte! Auch Balzac begann als Groschenheftautor. Was seine Romane heute schlecht lesbar macht (mit Ausnahme von Cousine Bette, den ich bei dieser Gelegenheit dringend in der Übersetzung von Paul Zech empfehle). Wir Studenten bekamen damals für unsere 110-Seiten-Western knapp 1.000 DM. Was eine Riesenmenge Geld für mich war, keine Verdienst hat sich je wieder so köstlich angefühlt. Ich brachte meinen ersten "Roman" unter, reichte gleich den zweiten nach: Als Lohn nimm heißes Blei! Woraufhin mich der freundliche Lektor, Herr D., in die Augustenstrasse bestellte, wo die Münchener Büros von Pabel damals in einer Etage zwischen Neuer Illustrierte und Praline untergebracht war. Irgendetwas war los mit dem Manuskript. Herr D. reichte es mir traurig über den Tisch. Die Seiten waren über und über mit Tintenstrichen bedeckt, man konnte kaum den Text entziffern. So sah mein Manuskript aus, nachdem Pabels Deutschlehrer, der sich auf diese Weise ein Zubrot verdiente, es Korrektur gelesen hatte. Der Schreck, gemischt mit Scham sitzt mir noch heute in den Knochen. Herr D. fragte mich, ob ich mit ihm einverstanden sei, dass so etwas nicht noch einmal vorkommen dürfte. Ich nickte stumm, kaufte mir "So schreibt man richtig" aus dem Duden-Verlag, und hatte mich, da ich dringend Geld brauchte, innerhalb zwei Wochen mit der deutschen Rechtschreibung u n d Zeichensetzung angefreundet. Es kamen dann aber doch nicht mehr so viele Western zustande, knapp zehn. Ich wurde etwas zu einfallsreich für den Rahmen des Genres. Nicht, dass meine Einfälle "besser gewesen" wären, sie waren meistens schlechter, sprengten aber vor allem den Rahmen der Erwartungen des Lesers. Deshalb zog der Verlag, fand ich später noch heraus, junge Autoren mit kleinen Kindern vor. Womöglich weil sie zu wenig Zeit hatten, geistreich zu werden, und somit Garanten solider Kost waren.

Bad Luck

Als ich in Kabul weilte, lernte ich eine mir bisher unbekannte Inkarnation des bösen Omens kennen - in den Hügeln über Stadt. Diese liegt wie Sarajewo in einem Kessel, von dessen Rand Bürgerkriegsparteien in sie hinein schießen konnten. Für die Bewohner war diese Zeit ein Alptraum. Man wusste nie, sagte mir einer meiner Studenten, ob man vom Einkaufen lebendig nach Hause zurück kam. Unberechenbar, böse sirrend schlugen die Garanten ein, ohne besonderes Ziel, nur um die Bürger, die im falschen Stadtviertel wohnten, zu demoralisieren. Ich fuhr am Sonntag mit einem befreundeten Journalisten hoch in die ehemaligen Stellungen. Die ansteigenden Lehmstraßen waren gesäumt von niedrigen Häusern, um welche die Kinder spielten mit kleinen Plastikwaffen. Manche von ihnen seien, meinte mein Begleiter, infolgedessen schon von der einen oder anderen verwirrten US-Patrouille erschossen worden. Aber das Ballerspiel ging lustig weiter. Die Stellen, an denen die Granatwerfer gestanden hatten, waren leer. Von hier überblickte man die hingewürftelte Stadt unter kobaltblauem Himmel. Metallene Patronenhülsen lagen ringsum, große und kleine. Ich bückte mich nach einer von ihnen und wollte sie einstecken. Als Souvenir. Mein Begleiter, ein erfahrener Kriegsberichterstatter, schaut mich irritiert an. Er riet mir, die Hülse wieder unter die anderen zu werfen. Ein solches Erinnerungsstück bringe schweres Unglück, de facto seien Kollegen dadurch noch daheim zu Tode gekommen, indem sie Sprengmittelreste in der Hülle übersehen hätten. Unter Kriegsberichterstattern, lernte ich an diesem Tag, sind Mitbringsel vom Ort der Geschehens tabu.

Heiße Reifen über Baku

Auch ich war in Kabul, nachdem das Goethe-Institut dort wieder eröffnet und Geld für alle möglichen Lehrgänge - auch meinen - hatte. Die Künste stehen in Afghanistan in keinem hohen Ansehen. Nur wer's nirgendwo anderes geschafft hat, studiert Literatur oder geht zum Film, eine unwürdige Tätigkeit. Die EU-Länder hatten trotzdem Kulturschaffende aus allen Bereichen nach Kabul geschickt, um die absonderlichsten Lehrgänge abzuhalten. Ich erinnere mich an eine bildhübsche Französin, direkt vom Titelblatt der Vogue, welche, um Gutes zu erreichen, den einheimischen Jungs das Jonglieren mit Zirkusbällen beibrachte. Eine Deutsch-Afghanin, die später einen GSG-9-Mann heiratete, setzte ihre Theaterstücke über das Elend afghanischer Frauen in Szene für die Expat-Gemeinde Kabuls. Den Afghanen selbst blieb die bürgerliche Veranstaltung Theater fremd, sie zogen indische Filme vor. Selbst dem Taliban-Obermullah Omar soll es nicht gelungen sein, den DVD-Player seiner jüngsten Frau zu beschlagnahmen. Überhaupt schien mir der Silberscheiben-Verleih in Afghanistan damals der einzige garantiert funktionierende Weg, in jedes Frauengemach und -gemüt vorzudringen. Statt dessen wurde zur Aufklärung der Massen das meiste Geld für Theater verpulvert, unter anderem, weil man der "Raubkopiererei" keinen Vorschub leisten wollte. Kabul zog damals viele Glücksucher und bunte Gestalten an. Ich erinnere mich an eine deutsche Orientalistik-Professorin, die ihm hohen Alter mit ihrem VW-Bully über die Berge "zurück nach Kabul" gekommen war, um hier zu sterben. Die etablierten Journalisten harrten alle in ihren Hotels aus, um nicht angeschossen oder entführt zu werden. Es war die Hochzeit für Freiberufler, die, wenn sie ihr Leben riskierten, endlich eine Chance hatten, etwas im Spiegel oder der New York Times zu platzieren. Ohne Aussicht freilich auf feste Anstellung. Einige Journalistinnen profitierten von ihren intimen Beziehungen zu dem ein oder anderen Warlord. Überhaupt fuhren auffällig viele NGO-Frauen tonangebend in weißen Allrad-Fahrzeugen umher und hatten afghanische Liebhaber. Die Männer zählen zu den bestaussehendsten der Welt. Aus dem Garten meines "Hotels", der ehemaligen österreichischen Gesandtschaft und Ex-Residenz Bin-Ladens, sah ich ältere Flugzeuge sich in den Himmel schrauben. Kabul ist so hoch von Bergen umgeben, dass man nach dem Abheben nicht einfach durchstarten kann, sondern erst mal - über der Stadt kreisend - ins Stahlblau-Wolkenlose hinaufkreisen muss, um's über die Berge zu schaffen. Das Hochland Afghanistans stellt eine große Herausforderung für Flieger dar, die in den Tälern zu landen haben. Weswegen etliche Peruaner, vertraut mit dem Relief der Anden, damals Arbeit als Piloten fanden. Auch in meinem Hotel lebten einige dieser Kondore in Uniform. Der zwischen Frankfurt und Kabul verkehrende Air Afghan-Airbus war ein klapperiges Geschenk der Inder, immerhin in der Lage, es ohne Hochschrauben über die Berge zu schaffen, auch wenn deren Gipfel plötzlich zwei Meter unter den Flügeln rauchten. Auf dem Heimweg wurde zwischengelandet in Baku, um Sprit zu fassen. Der Pilot, ein afghanischer Kriegsveteran, der auch mit abgesprengtem Bugrad, wie die Stewards mir versicherten, überall auf der Welt zu landen verstand, musste mit Bündeln Bargeld bezahlen. Nach dem Wiederabheben sackte die Maschine auf einmal durch und Rauch machte sich in der Kabine breit. Durchsagen auf Dari. Es roch nach verbranntem Gummi. Die Räder polterten heraus. Aber der Flug ging weiter. Die Bremsen, erfuhr ich dann, der Ohnmacht nahe, wären beim Abstoppen der Reifen, bevor diese in die Radkästen klappten, heißgelaufen - jetzt hängte man das Fahrwerk zum Abkühlen in die Luft. Und der Rauch? Kam aus der Küche, wo die Stewards - im Hocken - sich an indischen Zigaretten gütlich taten. Wenig von dem, was in Afghanistan passiert/e, dringt an die Öffentlichkeit, obwohl Kabul damals von Journalisten wimmelte. Ich habe mich öfters gefragt, woran das liegt. Wahrscheinlich, weil Zeitungen, auch TV-Programm u. ä. m. inzwischen "konzipiert" werden. Wer "Inhalte" liefert, muss die "Programmplätze" damit füllen und kann mit nichts Unerhörtem kommen. Nachrichten werden heute, fürcht' ich, eher am Bildschirm hergestellt als von einem Geschehen abgelesen.