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Stifter DER NACHSOMMER

Wird sich vieles, wird sich alles noch einmal ganz ändern? In welch schneller Folge geht es? Wenn durch das Wirken des Himmels und seiner Gewässer das Gebirge beständig zerbröckelt wird, wenn die Trümmer herabfallen, wenn sie weiter zerklüftet werden und der Strom sie endlich als Sand und Geschiebe in die Niederungen hinausführt, wie weit wird das kommen? Hat es schon lange gedauert? Unermeßliche Schichten von Geschieben in ebenen Ländern bejahen es. Wird es noch lange dauern? So lange Luft, Licht, Wärme und Wasser dieselben bleiben, so lange es Höhen gibt, so lange wird es dauern. Werden die Gebirge also einstens verschwunden sein? Werden nur flache, unbedeutende Höhen und Hügel die Ebenen unterbrechen, und werden selbst diese auseinander gewaschen werden? Wird dann die Wärme in den feuchten Niederungen oder in tiefen, heißen Schluchten verschwinden, so wie die kalte Luft in Höhen auf die Erde ohne Einfluß sein wird, so daß alle Glieder in unsern Ländern von demselben lauen Stoffe umflossen sind und sich die Verhältnisse aller Gewächse ändern? Oder dauert die Tätigkeit, durch welche die Berge gehoben wurden, noch heute fort, daß sie durch innere Kraft an Höhe ersetzen oder übertreffen, was sie von Außen her verlieren? Hört die Hebungskraft einmal auf? Ist nach Jahrmillionen die Erde weiter abgekühlt, ist ihre Rinde dicker, so daß der heiße Fluß in ihrem Innern seine Kristalle nicht mehr durch sie empor zu treiben vermag? Oder legt er langsam und unmerklich stets die Ränder dieser Rinde auseinander, wenn er durch sie seine Geschiebe hinan hebt? Wenn die Erde Wärme ausstrahlt und immer mehr erkaltet, wird sie nicht kleiner? Sind dann die Umdrehungsgeschwindigkeiten ihrer Kreise nicht geringer? Ändert das nicht die Passate? Werden Winde, Wolken, Regen nicht anders? Wie viele Millionen Jahre müssen verfließen, bis ein menschliches Werkzeug die Änderung messen kann?
Solche Fragen stimmten mich ernst und feierlich, und es war, als wäre in mein Wesen ein inhaltreicheres Leben gekommen. Wenn ich gleich weniger sammelte und zusammentrug als früher, so war es doch, als würde ich in meinem Innern bei weitem mehr gefördert als in vergangenen Zeiten.
Wenn eine Geschichte des Nachdenkens und Forschens wert ist, so ist es die Geschichte der Erde, die ahnungsreichste, die reizendste, die es gibt, eine Geschichte, in welcher die der Menschen nur ein Einschiebsel ist und wer weiß es, welch ein kleines, da sie von anderen Geschichten vielleicht höherer Wesen abgelöset werden kann. Die Quellen zu der Geschichte der Erde bewahrt sie selber wie in einem Schriftengewölbe in ihrem Inneren auf, Quellen, die vielleicht in Millionen Urkunden niedergelegt sind und bei denen es nur darauf ankömmt, daß wir sie lesen lernen und sie durch Eifer und Rechthaberei nicht verfälschen. Wer wird diese Geschichte einmal klar vor Augen haben? Wird eine solche Zeit kommen oder wird sie nur der immer ganz wissen, der sie von Ewigkeit her gewußt hat?

Robert Musil zum Dichten

In dem Maße wie das von der Zeit der Paulskirche und Bismarcks her beschädigte Ansehen der Professoren im Gemeinschaftsleben gestiegen ist, ist das der Dichter gesunken; heute wo der Professorenverstand die höchste praktische Geltung seit Bestehen der Welt erreicht hat, ist der Dichter bei dem gebräuchlichen Namen Literat angelangt, worunter einer verstanden wird, den unerforschte Gebrechen hindern, ein brauchbarer Journalist zu werden. Die soziale Wichtigkeit dieser Erscheinung ist nicht geringzuschätzen und rechtfertigt wohl, ihr einige Überlegung zu widmen. Daß diese sich auf die Betrachtung der Intellektualität beschränkt und im kleinen wie der Versuch einer erkenntnis-theoretischen Prüfung ausfällt, indem sie den Dichter nur als den in einer bestimmten Weise und auf bestimmtem Gebiete Erkennenden betrachtet, ist gewollte Einschränkung, die sich natürlich nur durch ihr Ergebnis rechtfertigen läßt. Sooft aber hierbei vom Dichter, als einer besonderen Gattung Mensch, die Rede sein wird, sei vorausbemerkt, daß damit nicht nur die gemeint sind, die schreiben; es gehören viele dazu, welche die Tätigkeit scheuen, sie bilden das reaktive Seitenstück zu dem aktiven Teil des Typus.
Man könnte ihn beschreiben als den Menschen, dem die rettungslose Einsamkeit des Ich in der Welt und zwischen den Menschen am stärksten zu Bewußtsein kommt. Als den Empfindlichen, für den nie Recht gesprochen zu werden vermag. Dessen Gemüt auf die imponderabeln Gründe viel mehr reagiert als auf gewichtige. Der die Charaktere verabscheut, mit jener furchtsamen Überlegenheit, die ein Kind vor den ein halbes Menschenalter früher sterbenden Erwachsenen voraus hat. Der noch in der Freundschaft und in der Liebe den Hauch von Antipathie empfindet, der jedes Wesen von den andern fernhält und das schmerzlich-nichtige Geheimnis der Individualität ausmacht. Der selbst seine eigenen Ideale zu hassen vermag, weil sie ihm nicht als die Ziele, sondern als die Verwesungsprodukte seines Idealismus erscheinen. Dies sind nur einzelne Beispiele und Einzelbeispiele. Ihnen allen entspricht aber oder vielmehr liegt zugrunde eine bestimmte Erkenntnishaltung und Erkenntniserfahrung wie auch die dieser entsprechende Objektswelt.
Man versteht das Verhältnis des Dichters zur Welt am besten, wenn man von seinem Gegenteil ausgeht: Das ist der Mensch mit dem festen Punkte a, der rationale Mensch auf ratioïdem Gebiet. Man verzeihe die Scheußlichkeit des Wortversuchs wie auch die ihm zugrunde liegende historische Vertauschung, denn nicht hat sich die Natur nach der Ratio gerichtet, sondern diese nach der Natur; aber ich finde kein Wort, das nicht nur die Methode, sondern auch das Gelingen gebührend ausdrückte, nicht bloß die Unterwerfung, sondern auch die Unterwürfigkeit der Tatsachen, dieses unverdiente Entgegenkommen der Natur in bestimmten Fällen, das in allen Fällen zu verlangen dann freilich eine menschliche Taktlosigkeit war. Dieses ratioïde Gebiet umfaßt – roh umgrenzt – alles wissenschaftlich Systematisierbare, in Gesetze und Regeln Zusammenfaßbare, vor allem also die physische Natur; die moralische aber nur in wenigen Ausnahmefällen des Gelingens. Es ist gekennzeichnet durch eine gewisse Monotonie der Tatsachen, durch das Vorwiegen der Wiederholung, durch eine relative Unabhängigkeit der Tatsachen voneinander, so daß sie sich auch in schon früher ausgebildeten Gruppen von Gesetzen, Regeln und Begriffen gewöhnlich einfügen, in welcher Reihenfolge immer sie entdeckt worden seien. Vor allen Dingen aber schon dadurch, daß sich die Tatsachen auf diesem Gebiet eindeutig beschreiben und vermitteln lassen. Eine Zahl, eine Helligkeit, Farbe, Gewicht, Geschwindigkeit, das sind Vorstellungen, deren subjektiver Anteil ihre objektive, universal übertragbare Bedeutung nicht mindert. (Von einer Tatsache des nicht ratioïden Gebiets dagegen, z. B. dem Inhalt der einfachen Aussage »er wollte es« kann man sich niemals ohne unendliche Zusätze eine hinreichend bestimmte Vorstellung machen.) Man kann sagen, das ratioïde Gebiet ist beherrscht vom Begriff des Festen und der nicht in Betracht kommenden Abweichung; vom Begriff des Festen als einer fictio cum fundamento in re. Zuunterst schwankt auch hier der Boden, die tiefsten Grundlagen der Mathematik sind logisch ungesichert, die Gesetze der Physik gelten nur angenähert, und die Gestirne bewegen sich in einem Koordinatensystem, das nirgends einen Ort hat. Aber man hofft nicht ohne Grund – das alles noch in Ordnung zu bringen, und Archimedes, der vor mehr als 2000 Jahren gesagt hat »gebt mir einen festen Punkt, und ich hebe die Welt aus den Angeln«, ist heute noch der Ausdruck für unser hoffnungsfreudiges Gehaben.
Bei diesem Tun ist die geistige Solidarität der Menschheit entstanden und besser gediehen als je unter dem Einfluß eines Glaubens und einer Kirche. Nichts ist daher begreiflicher, als daß die Menschen versuchen, das gleiche Vorgehn auch in den – im weitesten Sinn – moralischen Beziehungen einzuhalten, obgleich es dort täglich schwieriger wird. Auch auf moralischem Gebiet wird heute nach dem Prinzip der Pilotierung vorgegangen und werden in das Unbestimmte die erstarrenden Caissons der Begriffe gesenkt, zwischen denen sich ein Raster von Gesetzen, Regeln und Formeln spannt. Der Charakter, das Recht, die Norm, das Gute, der Imperativ, das Feste in jeder Hinsicht sind solche Pfähle, auf deren Versteintheit gehalten wird, um daran das Netz der Hunderte moralischen Einzelentscheidungen, die jeder Tag fordert, befestigen zu können. Die heute noch herrschende Ethik ist ihrer Methode nach eine statische, mit dem Festen als Grundbegriff. Aber da man auf dem Weg von der Natur zum Geiste gleichsam aus einem starren Mineralienkabinett in ein Treibhaus voll unausgesprochener Bewegung getreten ist, erfordert ihre Anwendung eine sehr komische Technik der Einschränkung und des Widerrufs, deren Kompliziertheit allein schon unsere Moral zum Untergang reif erscheinen läßt. Man denke an das populäre Beispiel der Abwandlung des Gebotes »Du sollst nicht töten«, von Mord über Totschlag, Tötung des Ehebrechers, Duell, Hinrichtung bis zum Krieg, und sucht man die einheitliche rationale Formel dafür, so wird man finden, daß sie einem Sieb gleicht, bei dessen Anwendung die Löcher nicht weniger wichtig sind als das feste Geflecht.
Denn hier hat man längst nicht-ratioïdes Gebiet betreten, für das uns die Moral bloß ein Hauptbeispiel abgibt, wie die Naturwissenschaft eines für das andre Gebiet gewesen ist. War das ratioïde Gebiet das der Herrschaft der »Regel mit Ausnahmen«, so ist das nichtratioïde Gebiet das der Herrschaft der Ausnahmen über die Regel. Vielleicht ist das nur ein gradueller Unterschied, aber jedenfalls ist er so polar, daß er eine vollkommene Umkehrung der Einstellung des Erkennenden verlangt. Die Tatsachen unterwerfen sich nicht auf diesem Gebiet, die Gesetze sind Siebe, die Geschehnisse wiederholen sich nicht, sondern sind unbeschränkt variabel und individuell. Es gelingt mir nicht, dieses Gebiet besser zu kennzeichnen als darauf hinweisend, daß es das Gebiet der Reaktivität des Individuums gegen die Welt und die anderen Individuen ist, das Gebiet der Werte und Bewertungen, das der ethischen und ästhetischen Beziehungen, das Gebiet der Idee. Ein Begriff, ein Urteil sind in hohem Grade unabhängig von der Art ihrer Anwendung und von der Person; eine Idee ist in ihrer Bedeutung in hohem Grade von beiden abhängig, sie hat immer eine nur okkasionell bestimmte Bedeutung und erlischt, wenn man sie aus ihren Umständen loslöst. Ich greife eine beliebige ethische Behauptung heraus: »es gibt keine Meinung, für die man sich opfern und in die Versuchung des Todes begeben darf –« und jeder von den Spuren ethischer Erlebnisse Beschlagene und Behauchte wird wissen, daß man ebenso leicht das Gegenteil behaupten kann und daß es einer langen Abhandlung bedarf, bloß um zu zeigen, in welchem Sinn man es meint, bloß um Erfahrungen in einer Wegweiserrichtung aneinanderzureihen, die dann doch irgendwo sich unübersehbar verästelt, aber doch irgendwie ihren Zweck erfüllt hat. Auf diesem Gebiet ist das Verständnis jedes Urteils, der Sinn jedes Begriffs von einer zarteren Erfahrungshülle umgeben als Äther, von einer persönlichen Willkür und nach Sekunden wechselnden persönlichen Unwillkür. Die Tatsachen dieses Gebiets und darum ihre Beziehungen sind unendlich und unberechenbar.
Dieses ist das Heimatgebiet des Dichters, das Herrschaftsgebiet seiner Vernunft. Während sein Widerpart das Feste sucht und zufrieden ist, wenn er zu seiner Berechnung so viel Gleichungen aufstellen kann, als er Unbekannte vorfindet, ist hier von vornherein der Unbekannten, der Gleichungen und der Lösungsmöglichkeiten kein Ende. Die Aufgabe ist: immer neue Lösungen, Zusammenhänge, Konstellationen, Variable zu entdecken, Prototypen von Geschehensabläufen hinzustellen, lockende Vorbilder, wie man Mensch sein kann, den inneren Menschen erfinden. Ich hoffe, diese Beispiele sind deutlich genug um jeden Gedanken an »psychologisches« Verstehen, Erfassen udgl. auszuschließen. Psychologie gehört in das ratioïde Gebiet und die Mannigfaltigkeit ihrer Tatsachen ist auch gar nicht unendlich, wie die Existenzmöglichkeit der Psychologie als Erfahrungswissenschaft lehrt. Was unberechenbar mannigfaltig ist, sind nur die seelischen Motive und mit ihnen hat die Psychologie nichts zu tun.
Der Mangel an Erkenntnis, daß es sich überhaupt um zwei ihrer Wesenheit nach verschiedene Gebiete handelt, verschuldet die bürgerliche Betrachtung des Dichters als eines Ausnahmemenschen (von wo es zum Unzurechnungsfähigen nicht weit ist). In Wahrheit ist er nur insofern Ausnahmemensch als er der Mensch ist, der auf die Ausnahmen achtet. Er ist weder der »Rasende«, noch der »Seher«, noch »das Kind«, noch irgendeine Verwachsenheit der Vernunft. Er verwendet auch gar keine andre Art und Fähigkeit des Erkennens als der rationale Mensch. Der bedeutende Mensch ist der, welcher über die größte Tatsachenkenntnis und die größte Ratio zu ihrer Verbindung verfügt: auf dem einen Gebiet wie auf dem anderen. Nur findet der eine die Tatsachen außer sich und der andere in sich, der eine findet sich zusammenschließende Erfahrungsreihen vor und der andere nicht.
Ich bin gewiß nicht sicher, ob es nicht Pedanterie sei, so umständlich auseinanderzulegen, was vielleicht nur Binsenwahrheit ist, und möchte zur Entschuldigung anführen, was hierbei ungesagt blieb, trotzdem es ebenso wichtig: vor allem die Abgrenzung von den sogenannten Geistes- und historischen Wissenschaften, die nicht einfach ist, aber das bisher Gesagte bestätigt. Ob solche Untersuchungen aber als Pedanterie zu bewerten sind oder als unerläßlich, wird sich letzten Endes nur nach der Wichtigkeit richten, die man dem Nachweis zumißt, daß die Struktur der Welt und nicht die seiner Anlagen dem Dichter seine Aufgabe zuweist, daß er eine Sendung hat!
Man hat öfters dem Dichter die Aufgabe zugewiesen, der Sänger, der Verklärer seiner Zeit zu sein und sie, so wie sie ist, in die überglänzte Sphäre der Worte zu ekstasieren; man hat von ihm Triumphpforten für den »guten« Menschen verlangt und Verherrlichung der Ideale; man hat »Gefühl« (das heißt natürlich nur bestimmte Gefühle) von ihm verlangt, und Absage an den kritischen Verstand, der die Welt verkleinert, indem er ihr die Form nimmt, so wie der Steinhügel eines zusammengestürzten Hauses kleiner ist als das einstige Haus. Man hat zuletzt (in der Praxis des Expressionismus, die das gemeinsam hat mit dem alten Neo-Idealismus) von ihm verlangt, daß er die Unendlichkeit des Gegenstandes verwechsele mit der Unendlichkeit der Gegenstandsbeziehungen, wodurch ein ganz falsches metaphysisches Pathos entstand: All das sind Konzessionen an das »Statische«, ihre Forderung widerspricht den Kräften des moralischen Gebiets, ist materialwidrig. Man wird einwenden, daß alles hier Gesagte nur eine rein intellektualistische Auffassung widerspiegelt. Nun, es gibt Dichtungen, die von allem hier als Hauptaufgabe Betrachteten wenig haben und dennoch erschütternde Kunstwerke sind; sie haben ihr schönes Fleisch und das des Homerischen leuchtet durch Jahrtausende bis zu uns. Im Grunde kommt das doch nur von gewissen konstant gebliebenen oder wieder zurückgekehrten geistigen Einstellungen. Die Bewegung der Menschheit, die sich inzwischen vollzogen hat, kam aber von den Variationen. Und es bleibt bloß die Frage, ob der Dichter ein Kind seiner Zeit sein soll oder ein Erzeuger der Zeiten.

Wittgensgtein zum menschlichen Innenleben

Am schwierigsten zu verstehen, zugleich aber faszinierendsten sind für mich Ludwig Wittgensteins philosophische Untersuchungen seelischer Vorgänge wie dem Sich-etwas-Vorstellen, Wollen, Meinen, Denken, Verstehen, Träumen, Erinnern oder "Zahnschmerz", den er oft als Beispiel für alle hernimmt. Die Pointe Wittgensteins rein sprachlicher Untersuchungen: dass es keine innere Welt gibt, dafür aber eine Innigkeit, welche sich nicht im Privaten, sondern öffentlich abspielt. Wir haben unsere Seele gewissermaßen durch andere, ohne die, wie uns zumute ist, was wir denken, träumen usf. keinen Inhalt besässe. Wittgenstein weist dies auf, indem er untersucht, wie wir Worte für Seelisches verwenden: nämlich nicht, um etwas zu beschreiben, sondern es auszudrücken. Den Unterschied - zwischen Beschreiben und Ausdrücken - veranschaulicht z. B. ein Landschaftsbild, dessen Bedeutung nicht darin besteht, eine bestimmte Landschaft, die es wirklich gibt, originalgetreu wiederzugeben, sondern eine landschaftliche Stimmung vorzustellen, die durch jeden der verwendeten Pinselstriche zustande kommt und nicht davon abhängt, dass es diese Landschaft auch wirklich gibt. Es kann sie geben, aber für das, worauf es ankommt, ist dies nicht von Belang. Ähnlich erscheinen uns seelische Vorgänge: als Muster in einem zwischenmenschlichen Gewebe, das nicht erst durch etwas bedeutend wird, für das es steht, sondern die Sache selbst ist. Wittgenstein dazu in den Philosophischen Untersuchungen 297: ". . . wenn das Wasser im Topf kocht, so steigt der Dampf aus dem Topf und auch das Bild des Dampfes aus dem Bild des Topfes. Aber wie, wenn man sagen wollte, im Bild des Topfes müsse auch etwas kochen?" Das "Kochen" würde das Bild des Topfes, wenn es in ihm geschähe, so wenig sinnvoller machen wie ein weißhäutiger Darsteller, der sich als Othello schminkt, dadurch authentischer würde, dass er seinen Köper auch unter der Kleidung schwarz macht. Unser Innenleben besteht m. a. W. in Äusserungen, die für nichts einstehen, sondern Seele bilden, sie lebt in unseren Worten und Gesten - steht uns ins Gesicht geschrieben. Aber kann man einen anderen Menschen wirklich nur an seinem Gesicht erkennen? Wittgenstein fragt zurück: Kann man sich denn selbst an seinem Gesicht erkennen? Ist es möglich zu wissen, was man in 5 Minuten denken wird? Die psychologischen Begriffe und unserer Gemüt, welches in ihnen verfasst ist, sind nicht ungenau, sondern unscharf, andernfalls hätten sie keine Seele. P. S. Wie ist es mit "denken", "meinen", "wollen", "träumen" - stehen auch sie für nichts ein, sondern bilden die Sache selbst? Sätze, die mit "Ich"+mentalem Prädikat eingeleitet werden, können keinen Irrtum enthalten: "Ich denke, der Rhein fließt nach Süden" ist immer richtig, insofern der Inhalt eines Gedankens über die Wirklichkeit, nicht diese selbst beschrieben wird. So auch bein "meinen", "wollen", "träumen" (es ist nicht möglich, einen "falschen Traum" zu erzählen . . .)

Metaphorisches Denken

. . . so ist doch der metaphorische Ausdruck der bei weitem wichtigste, denn diesen allein kann man nicht von einem anderen lernen, ist dies doch gewissermaßen ein Zeichen von Genialität. Denn gute Metaphern erfinden heißt einen Spürsinn (scharfen Blick) für das Ähnliche (im Unähnlichen) haben. -Aristoteles POETIK XXII 7