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Denken . . .

. . . ist ein innerer Konflikt: das Aufführen gegeneinander von unterschiedlichem Sein-Wollen sowie dessen Schaffung von neuen Verhältnissen.

Abtreibungsgegner . . .

. . .werden in den USA als "single issue terrorists" bezeichnet, wenn sie Gewalt anwenden. In Deutschland habe ich die entschiedensten Abtreibungsgegner unter den Behinderten kennengelernt, um deren Betreuung sich meine Tante kümmerte. Sie befürchteten, wahrscheinlich nicht zu unrecht, dass es ihnen als Embryos mehrheitlich an den Kragen gegangen wäre, wenn ihre Mütter damals gewusst hätten ... Meine Tante wurde, wenn sie entsprechend aufgelegt war, auch nicht müde zu erzählen, dass ich selber nur knapp einer Abtreibung entgangen wäre. Kann aber nicht sagen, dass mich das sonderlich schockiert hätte. Die Frauen und Ärzte, die ihnen dienen, entscheiden, wer auf die Welt kommt oder nicht. In meiner Jugend wurde das durch die Parole ausgedrückt "Mein Bauch gehört mir", die harmloser klingt als "Über die künftige Zusammensetzung der Menschheit entscheide ich". Können die Frauen das denn überhaupt? Sind sie der Verantwortung gewachsen? Bei der Psychoanalytikerin Alice Balint las ich vor Jahren den Bericht über eine Gerichtsverhandlung auf dem ungarischen Land gegen eine Kindesmörderin. Balint beschrieb vor allem die Reaktion eines Bauernmädchens unter den Zuschauern, die den Prozess eine Farce fand, da die Angeklagte Selbstverstümmelung begangen hätte. Das Kind betrachtete die Analphabetin als persönliche Angelegenheit der Mutter. Selbstverständlich konnte diese darüber Verfügen wie über einen Körperteil. Balint spekulierte in ihrem Bericht, ob dies nicht die natürliche Reaktion oder Wahrheit sei. Inzwischen ist es bei uns wieder so, dass die Frau alleine entscheidet, ob sie ein Leben zur Welt bringt oder nicht. Nach welchen - bewussten oder unbewussten - Kriterien verfährt sie dabei? Wieso brachten z. B. während des Jugoslawienkrieges einige der vergewaltigten Frauen die so entstandenen Kinder zur Welt, während andere sie abtrieben? Hing es ab von dem Vater, selbst wenn sie ihn nur einmal sahen, oder spielten zufällige Faktoren eine Rolle? Es bleibt jedenfalls festzustellen, dass die Zusammensetzung der gegenwärtigen westlichen Gesellschaft mehr von dem Willen der Mütter bestimmt ist als die Generationen davor. Außer ev. in bestimmten Randbereichen oder Nischen der Gesellschaft - die deswegen auch mehr "problematisches Menschengut" hervorbrigen? Im gegenwärtigen Spiegel werden die Karrieren einiger IS-Terroristen beschrieben, die versagenden Väter, von den Müttern erfährt man nichts. Der Verdacht liegt nahe, dass sie lieber abgetrieben hätten.

Anstand . . .

. . . geht mir bei der momentan eingeklagten Reflektion "unserer Werte" durch den Kopf, entspringt dem Selbstwertgefühl! Das müssen wir den Fremden bei uns unbedingt beibringen: Ihre Kinder, damit sie zu "guten Deutschen" reifen, sollen sich allzeit gelobt fühlen nicht für harte Arbeit oder Liebenswürdigkeit, sondern weil sie "etwas besonderes" sind, je weniger Geduld sie m. a. W. jenen gegenüber zeigen, die ihre Überlegenheit nicht anerkennen. Wer da nicht weiß, ob sein Selbstbewußtsein schon hoch genug ist, braucht nur auf Grazie und Anmut schauen: wieweit diese ihn noch hindern, "bei sich" zu sein. Eine gemütliche Kaltschnäuzigkeit dagegen, gekoppelt mit der Bereitschaft, anderen etwas zuzumuten, ist zu begrüßen, so wie die soziale Begabung, selbst bei äußerster Freundlichkeit niemals angenehm zu werden.

Lachen . . .

. . . ist das Schwappen der Wellen gegen das Ufer (welches sie närrisch finden).

Worüber die lachst, dem wirst du dienen

Einer dieser Gemeinplätze, ich glaube, aus Russland, von denen man sofort spürt, dass sie eine tiefe Wahrheit ausdrücken. Die Eltern zum Beispiel dienen ihren Kindern, die Belegschaft dem Chef, die Frauen den Männern. Im Kasperletheater der Polizist kann, wenn er auftaucht, gleich mal prophylaktisch Prügel bekommen, dann lacht der Saal. Wieso? Worüber du lachst, dem wirst du dienen . . . Was wir verlachen, dem fühlen wir uns überlegen. Aber welchen Dingen gegenüber fühlen wir uns überlegen? Denen, würde ich antworten, die weniger zusammengesetzt wird als wir selbst. Der übliche Vorgesetzte ist Vorgesetzter geworden, weil er einen "aufgeräumten Schreibtisch" hat, weniger "Gepäck" mit sich herumschleppt als seine Untergebenen, wahrscheinlich sogar ein bisschen dümmer ist. Was man z. B. gerade der Kanzlerin in der Flüchtlingskrise ankreidet: sie sei einfach zu einfältig, um die Weiterungen ihrer Richtungsvorgabe zu übersehen. Aber die Klügeren, vielfältiger Ausgestatteten, Sinnreichen - wissen vor lauter Möglichkeiten nie, welchen Weg sie einschlagen sollen. Ihre Standard-Antwort ist: man habe die Sache noch nicht aus genügend Blickwinkeln betrachtet. Sie kommen dadurch nie zum Handeln, sondern folgen den Dummen. Worüber du lachst, dem wirst du dienen . . . Kinder üben eine außerordentlich disziplinierende Wirkung auf ihre Eltern aus, indem sie die Verläufe daheim nach ihren einfacheren Bedürfnissen ausrichten. Sie hören auf, Kinder zu sein, wenn sie "so kompliziert" wie ihre Eltern wurden. Hier lauert auch die Frage, ob Frauen "komplizierter", also vielfältiger zusammengesetzt, sind als Männer, und die Antwort liege einem auf der Zunge. Finden Männer Frauen komischer - oder müssen umgekehrt Frauen mehr über Männer lachen? Der Gegenstand des Gelächters aber ist der einfacher gestrickte und gibt - infolgedessen - den Ton an. Dieses Paradox drückt das Sprichwort aus: Worüber die lachst, dem wirst du dienen.

Hamleta

Theater wurde ja ursprünglich nur von Männern gespielt, die deswegen auch alle Frauen darstellen mussten. Infolge solcher Übergänge kennzeichnen wahrscheinlich sogar einige der namentlich männlichen Shakespeare-Rollen im Grunde Frauen, z. B. Hamlet - so wie umgekehrt manche Frauenrollen, z. B. Penthesilea, eigentlich Männerseelen haben. Das stellte sich wahrscheinlich besser heraus, wenn man wieder auf die Tradition zurück käme, alle Rollen in einem Stück nur von einem Geschlecht, egal ob Männer oder Frauen, spielen zu lassen.

Deleuze

Was ich zu Deleuze zu sagen hätte, leite ich mal aus der Arbeitswerttheorie ab, an welcher er ja ausdrücklich - in dem Lebenssummen-Zitat - festhält. Hier steht er nicht auf eigenen Beinen, sondern auf den Schultern Karl Marx', der wiederum in der Tradition der Aufklärung verharrt. Die Arbeitswerttheorie behauptet, dass die Quelle des Wertes einer Ware ausschließlich rührt aus der Arbeit eines Menschen, der ihr gegenüber lebt - nicht also etwa eines Toten, der z. B. eine Maschine gebaut oder erfunden hat, oder eines Tieres, einer Naturkraft; die leisten alle keine Arbeit im Sinne der Arbeitswerttheorie. Das sagt, weil es Marx sagt, Deleuze, und davon macht er keine Abstriche, im Gegenteil. Weder Tiere noch tote Menschen, noch Naturkräfte können infolgedessen ausgebeutet werden, der lebendige Arbeiter alleine hat ein Anrecht auf die Frucht seiner Arbeit. Warum ein lebendiger Mensch ein Anrecht auf die Frucht seiner Arbeit hat, wird nicht begründet, sondern gesetzt, ist also ein Dogma. Das Dogma der Kunstfertigkeit des Menschen. Weder Marx noch ihm zufolge Deleuze haben dieses Dogma - dass wir uns etwas aneignen, indem wir es herstellen - geschaffen. Vielmehr hat es christliche Wurzeln: Gott hat uns als Ausgabe seiner selbst geschaffen, welche dieselben Anrechte an ihren Produkten hat wie er auf die Welt. Die Aufklärung, in ihrem Kielwasser Marx und seine Epigonen haben diesen Gedanken nur verweltlicht, seitdem firmiert er unter "Individualismus". Warum, könnte man gleich einmal ketzerisch fragen, erwirbt jemand ein Produkt durch seine Arbeit. Weil diese einem selbst gehört? Folglich gehört einem etwas, wenn man sich unter es mischt? Der Besitz sickert dann gewissermaßen in den Rest? Warum bedeutet die Mischung meines Besitzes in etwas anderes nicht den Verlust, dessen, was ich besitze? Wieso gewinne ich dadurch, was ich nicht besaß? Eignen sich die radioaktiven Kühlwässer von Fukushima den Pazifik an, indem sie ihn durchdringen? Der große Ausbuchstabierer des Individuums war Descartes, und es hat kein französischer Philosoph nachher sich aus diesem Schatten lösen können, sondern liefert immer nur wieder Parodien des dogmatischen "schöpferischen Individualismus", so wahrscheinlich auch Deleuze mit seiner kreativen Auffassung von Philosophie, die als "Produktion von Begriffen" propagiert wird. Man kann die Sache mit der Welt und des Menschen Rolle in ihr freilich auch anders sehen. Ich will hier nicht wieder mit Wittgenstein kommen, sondern zitiere Chief Seattle: "This we know: the earth does not belong to man, man belongs to the earth. All things are connected like the blood that unites us all. Man did not weave the web of life, he is merely a strand in it. Whatever he does to the web, he does to himself." Eine ganz andere Sicht der Welt und unserer Stellung in ihr, oder? Manchmal spürt man, wie Deleuze dort hinreicht, aber sein Marxismus, also verkapptes Christentum, hält ihn zurück.

Charakter & Handlung

Was aufeinander folgt, der Lauf der Dinge, fließt dahin, bedeutungslos. Erst durch CHARAKTER wird es zum PLOT. Einerseits: die H a n d l u n g einer Geschichte – andererseits: C h a r a k t e r e. Während Handlung weitergeht, steht Charakter still = bildet sich nicht aus Fort-, sondern aus Rundlaufendem (Wiederkehrendem). Charakter ist erstarrte Handlung, die als Leitung für nicht erstarrte, flüssige Handlung funktioniert; dies Verhältnis ändert sich mit der Zeit, indem fließende Handlung erstarrt und feste wieder flüssig wird. Charakter(istisches) kann wieder „in Bewegung“ geraten = das Flussbett seines Wesens sich verschieben. Man unterscheidet zwischen Plot (Fortrollen von Handlung im „Flussbett“ der Charaktere) und Charakterentwicklung (Bewegung des Flußbetts), obwohl es eine scharfe Trennung nicht gibt, denn beidemal ist es Handlung.

Lanark: A Life in Four Books

Man braucht eigentlich nur die ersten zwei-drei Sätze eines Romans zu lesen, um zu sehen, was er taugt, z.B.: ‘The Elite Café was entered by a staircase from the foyer of a cinema. A landing two thirds of the way up had a door into the cinema itself, but people going to the Elite climbed farther and came to a large dingy-looking room full of chairs and low coffee tables. The room seemed dingy, not because it was unclean but because of the lighting. A crimson carpet covered the floor, the chairs were upholstered in scarlet, the low ceiling was patterned with whorled pink plaster, but dim green wall lights turned these colours into varieties of brown and made the skins of the customers look greyish and dead.’

Die dunkle Seite der Macht . . .

. . .hatte auch mich einmal gerufen. Noch heute schwindelt mir etwas bei der Erinnerung an das von der Stirne gewischte Blut - damals in Kalkutta. Die indische Göttin Kali kann bestochen werden. Wenn einem bei uns jemand auf den Zeiger geht oder im Weg steht, und wir wünschten ihm eine tödliche Krankeit auf den Hals - an wen kann man sich da schon wenden? Der Hindu geht zum Kali-Tempel. Dort kann man Tiere opfern lassen, nicht gerade billig, um bösen Zauber zu dingen. Es werden ca. 5.000 € investiert, um den Mitbewerber um einen begehrten Job oder eine Rivalin um einen wohlhabenden Bräutigam zu erledigen. Als neugieriger Tourist wurde ich natürlich gleich von einem der Priester beschlagnahmt, der mich überall herumführte. Es herrschte eine laute, gereizte Stimmung unter den schubsenden Besuchern des Tempels, der, wie ich erfuhr, auch von unfruchtbaren Frauen aufgesucht wurde; nach erfolgreicher Geburt brachten sie ihre Babys zurück, um deren schwitzende Köpfchen an den verschmierten Blutsteinen der Göttin zu reiben. Schon befand ich mich in einer waschküchenartigen Halle und sah jetzt überall die Straßenhunde. Sie äugten gierig, ohne sich näher heran zu wagen, auf Blutpfützen, die verstreut über den Kachelboden eindickten. Ein panisch-böse um sich schauender Ziegenbock wurde zu einem Holzgestellt gezerrt. Dort stand eine Familie und überreichte dem fetten, habnackten Priester ein dickes Bündel Geld. Nachdem dieses zweimal durchgegezählt und verstaut war, hieb ein dürrer Messdiener mit einem hakenförmigen Stecken auf eine schmutziges Trommel-Fell. Bong-bong-bong! Der Ziegenbock wurde in das Gestell gedrückt, der Priester holte mit einer messerförmigen Axt aus und hieb ihm den Kopf ab. Die Hunde sprangen erregt hinzu, um von dem Blut zu schlecken, bevor sie weggetreten wurden. Noch benommen von dem Schauspiel, folgte ich dem Priester ins Heiligtum der Göttin, randvoll schwitzender Besucher, die den Blick auf alles weitere versperrten. Ob ich die Göttin sehen wolle? fragt mich der Priester und bedeutete mir, mich zu bücken. Als ich in die Knie ging, bog sich auf einmal das Beingewimmel vor mir auseinander, bildete einen Tunnel, an dessen Ende Kali erschien: drei dicke weiße Striche stießen auf einen schwarzen Punkt, welcher aus der Mitte einer dreckigen Steinplatte starrte. Ich spürte etwas Feuchtes im Gesicht, zugleich schloss sich ein Band um meinen Arm. Der Priester hatte mir Blut aus dem Opferraum auf die Stirne geschmiert und eine zottige Devotionalie angelegt. - Die riss ich mir, als ich auf die Straße entkommen war, augenblicklich vom Handgelenk und reinigte meine Stirn von dem Blut aus Kalis Tempel. Nur zögernd fühlte ich die böse Nässe weichen . . .

Glauben vs. Wissen

Es glaubt eigentlich niemand, dass er sterben wird - er weiß es bloß.

Dekoltees

Eine Untersuchung der Frauenmode in VOGUE zwischen 1919-1999 ergab, dass in Zeiten wirtschaftlicher Not die Dekoltees zunahmen... (Hill, R.A., Donovan, S. & Koyama, N.F. (2005) Female Sexual Advertisement Reflects Resource Availability in Humans. Human Nature 16: 266-277.)

Tod als Ratgeber?

Mir ist gestern ein Video bekannt gemacht worden, in dem S. Jobs amerikanischen Studenten als Leitfaden vorstellt, in entscheidenden Fragen an den eigenen Tod zu denken. Ein Anwendungsbeispiel gibt er nicht. Muss man sich vorstellen, dass so z.B. die graphische Benutzeroberfläche für Computer entstanden ist?

Vom deutschen Wesen

DEUTSCHLAND ALS NATION kehrt in den Vordergrund durch die Flüchtlingskrise. Wenn ich aber in die Geschichte schaue, lässt sich nicht ein Hinweis herauslesen, Deutschland könne ernstlich gefährdet sein. Es hat eigentlich kein Volk Europas schlimmere Katastrophen überlebt - 30jähriger Krieg, zwei Weltkriege in kurzem Abstand . . . - und sich immer wieder aufgerappelt. Da sollte 1 Million Flüchtlinge den Untergang einläuten? Selbst 10 Millionen dürften das nicht schaffen. Denn was sollte durch Zuwanderung an die Stelle dessen treten, was Deutschland heute ausmacht? Welche florierende, auf eigenen Beinen stehende Gesellschaftsordnung wäre die Alternative, der man sich mehrheitlich zuwenden würde? Gibt es folglich etwas, das die deutsche Ordnung "allen anderen überlegen" macht? Wenn, dann ist es, meine ich, die einmalige geographische Lage. Wer an so einer verkehrsreichen Stelle des Globus residiert, vergleichbar eigentlich nur dem Nahem Osten, überlebt allein aufgrund eher elastischer Strukturen, die in der Lage sind, jeglichen "Durchgangsverkehr" zu kanalisieren. Deswegen braucht Deutschland ev. nicht mal wie Kanada oder Australien eine gezielte Einwanderungspolitik, sondern kann es mit jedem aufnehmen, den es in seine Netze verschlägt. Die Kanadier haben es durch ihre gezielte Einwanderung z. B. dahin gebracht, sich eine Elite zu importieren, die bereits merklich über dem Normalvolk sitzt. Deutschland ist dagegen ein Land der kleinen Leute: Schiller, Kant, Hegel, fast alle Dichter und Denker, aber auch die Erfinder, (späteren) Industriellen, Politiker - immer Abkömmlinge des Kleinstbürgertums. Die Berufsschule, nicht die Elite-Universität, prägt den Fortgang. Die Hausmusik, nicht die Königliche Oper. Es hat sich in diesem Gewebe eigentlich nie so richtig oder dauernd (außer in Bayern . . . ?) eine konkurrierende Lebensform entwickeln können.

Grammatik ist . . .

. . . was ich mit einer Sache machen kann. (It has a grammar, I can do something with it.)

Deswegen haben die Leidenschaften keine Grammatik = ist es sinnlos, wenn nicht sogar krankmachend, sie zu bezwecken. Denn ich kann etwas zwar leidenschaftlich tun, nicht aber tunlichst leidenschaften. Ein glücklicher Mensch ist daher einer, für den nichts uninteressant und beinahe alles bedeutungslos ist.

Die demokratische Methode (nach Schumpeter)

Demokratie ist keine Volksabstimmung, sondern eine politische Methode, das heißt: eine gewisse Art institutioneller Ordnung, um zu politischen - legislativen und administrativen - Entscheidungen zu gelangen, und daher unfähig, selbst ein Ziel zu sein, unabhängig davon, welche Entscheidungen sie unter gegebenen historischen Verhältnissen hervorbringt. Dies muss der Ausgangspunkt für jeden Versuch einer Bestimmung von Demokratie sein. Der Referendums-Gedanken geht davon aus, dass das Volk zu jeder Frage weiß, was es will, und Vertreter entsendet, um dies durchzusetzten. An erster Stelle kommt nach dieser Auffassung der Wille des Volkes, diesem nach- oder untergeordnet treten die Abgeordneten in Erscheinung. Wie aber, wenn andersrum der Wille spontan im Kreise der Politik gebildet wird und das Volk dann - nachgeordnet - lediglich entscheidet, welche der verschiedenen Richtungen eingeschlagen werden soll? Es wäre dann in einer Demokratie nicht die Rolle des Volkes, spontan zu sein, sondern eine Regierung - unter mehreren möglichen - hervorzubringen. Und die demokratische Methode wäre diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfs um die Stimmen des Volkes erwerben.

I went down to the Piraeus

Let's now peek into the book itself. Just peek. We won't go too far. Let's start with the first line. Who remembers what the first line is? Oh, come on. You should know this. You're looking at the book. You're cheating. "I went down to the Piraeus." I went down to the Piraeus. Why does Plato begin with this line? There's a story that I heard. I'm not sure if it's altogether true, but it's a good story, at least, about the famous German philosopher Martin Heidegger, who said that on his first teaching of the Republic, he went through the whole book, taught the whole book in one seminar, one semester. The last time he taught it, the final time he taught it, he never got beyond the first sentence, "I went down to the Piraeus." What does it mean? Why does he begin with this? "I went down," a going down. The Greek word for this is catabasis. "I had made a descent." - Steven B. Smith Alfred Cowles Professor of Political Science

Pervers

Nichts ist abstoßender als das, was der Dummkopf "eine harmonische und ausgeglichene sexuelle Aktivität" nennt. Die hygienische und methodische Sexualität ist die einzige Perversion, die die Dämonen ebenso verabscheuen wie die Engel. DAVILA

Bettler

Es ist gar herrlich, so etwas vagabundisches in das Leben zu mischen. Es ist wie der Fluß in dem Thal. Man fühlt doch auch wieder einmal, daß man der Erde nicht angehört, und daß m[an] ein freier Mensch ist, wenn man wie der Spatz alle Abende auf einem andern Ast sitzen kann. Das ist es, was den Betler groß und stolz macht, wenn er sich selbst und seinen Beruf recht versteht. Ich habe diese Glücklichen schon oft beneidet, und gebe gerne denen, die es aus Grundsatz sind. Es gibt keine andere Philosophie. HEBEL

Wo solch ein Köpfchen keinen Ausweg sieht . . .

. . . stellt es sich gleich das Ende vor. GOETHE

Spricht der Produzent (in S. Fitzgeralds Hollywoodroman "The Last Tycoon")

 "...we have all sorts of people - disappointed poets, one - hit playwrights, college girls - we put them on an idea in pairs and if it slows down we put two more writers working behind them. I've had as many as three pairs working independently on the same idea."
  "Do they like that?" 
  "Not if they know about it. They're not geniuses-none of them could make as much any other way. But these Marquands are a husband and wife team from the East - pretty good playwrights. They've just found out they're not alone on the story and it shocks them-shocks their sense of unity - that's the word they'll use."
  "But what does make the - the unity?" 
  Stahr hesitated - his face was grim except that his eyes twinkled. "I'm the unity," he said.

Zuviel Schule vertiert

Peter Gray, der Verfasser des Standardlehrbuchs für Psychologie-Studenten in den USA, ist ein Kritiker des IQ-orientierten Schulsystems, das statistisch belegbar immer mehr schwere seelische Störungen bei Kindern, später Erwachsenen produziert. Insbesondere mangelndes Einfühlungsvermögen und ständig zunehmenden Narzismus führt Gray auf zu langen Schulbesuch und zu wenig unbeaufsichtigtes Spiel zurück. Sein aufrührerischer, gegen den Strom argumentierender Artikel  - h i e r - mit einem humanen Ausblick. (Man merkt den hohen Grad unserer Gehirnwäsche.)

Die meisten Kinder ziehen keinen Vorteil aus kleinen Klassen

Rund um die Welt finden Eltern es gut, wenn ihre Kinder in kleinen statt in großen Klassen unterrichtet werden. Dies beruht auf der Annahme, so werde der Bildungserfolg erhöht. Politiker reagieren darauf und stellen mehr Lehrer ein. Mit der Folge, dass dominante Schüler sich in den kleinen Gruppen eher durchsetzen, als sie's in größeren Verbänden getan hätten. Schwache Kinder finden in kleinen Gruppen zu wenige Kameraden mit denselben Bedürfnissen um sich – und halten eher den Mund.

Wesen der Tragödie

Spielform des Dramas, in der den Helden oder mehrere Hauptfiguren der Tod ereilt, meistens zum Schluss. Das schreckliche Ende erfüllt eine die ganze Zeit über im Zuschauer herangebildete Erwartung. Entsetzen und Mitleid „reinigen“ (nach Aristoteles) die Seele.

In dieser Hinsicht nähert sich das Melodrama der Tragödie. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: in der Tragödie enthüllt die Katastrophe der Hauptfigur eine unüberbrückbare Kluft zwischen menschlichem Wünschen und dem Sosein der Welt. Im Melodrama gibt es diese Kluft nicht. Erleiden und Gewalt sind Prüfungen, die die letztliche „Richtigkeit“ der Weltordnung erweisen. Wenn ein melodramatischer Held stirbt, dann entweder, weil er sich für eine gute Sache opfert – oder weil er es verdient, unterzugehen (sich dieses Ende eingehandelt hat). Die erschütternde Wucht einer Katastrophe, der Triumph des Bösen bestehen im Melodrama letztlich nur als dunkler Hintergrund für den dadurch umso strahlender leuchtenden Endsieg des Guten.

„Tragisch“ kennzeichnet keine menschliche Erfahrung, sondern eine Literaturform, die Aischylos und seine unmittelbaren Vorgängern im antiken Athen geschaffen haben; ihre Theaterstücke hießen Tragödien - nicht wegen ihres besonders "tragischen" Inhalts, sondern weil ihre Aufführung im Zusammenhang mit „Böcken“ (griech. tragos) stand. "Tragisch" ist ein Vorgang daher dann, wenn er nach Art der Tragödie dargestellt wird.

Aristoteles für Drehbuchautoren

Die Seitenzahlen verweisen auf die deutsche Übersetzung Fuhrmanns im Verlag Phillip Reclam jun., Stuttgart 1982. In {geschweiften Klammern} erscheinende Ausdrücke gehören nicht zum Ur-Text, sondern deuten benachbarte Stellen durch verwandte deutsche Worte, Erläuterungen oder die englische Übersetzung des griechischen Originals. Die Poetik war ursprünglich wohl eine Vorlesungsgrundlage, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen.

Handlung ist nicht Rede, sondern Tun


[Eine falsch verwendete Figur] sagt ... von sich aus, was der Dichter will, und nicht, was die Überlieferung {Handlung} gebietet {... is made to say himself what the poet rather than the story demands} ... [Sie könnte] ebenso gut auch bestimmte Zeichen {Schrifttafeln, auf denen die Botschaft des Autors steht} an sich tragen {dem Publikum zum Lesen hinhalten} ... S. 51

Schlecht erfundene Charakteren sagen, was ihr Autor will, nicht was ihrer Verstrickung in die Handlung entspringt. Ebenso gut könnten sie Schrifttafeln mit Parolen hochhalten.

... Anfänger in der Dichtung [sind] eher imstande ..., in der Sprache {Dialogen} und den Charakteren {Begriffen} Treffendes zustande zu bringen, als die Geschehnisse {zu einer Handlung} zusammenzufügen. {... beginners succeed earlier with the Diction and Characters than with the construction of a story.} S. 23

Ungeübte Autoren bringen eher Charaktere zustande als eine zusammenhängende Folge von Ereignissen.

Homer

Wie Artemis, die Bogenschützin, fröhlich durchs Gebirge voranjagt, über die Höhen des Taygetos oder die Gipfel des Erymanthos, Eber und flinke Hirsche vor sich hertreibend, und mit ihr die Nymphen der Flure spielen, die Kinder der Zeus, des Herrschers der Aigis, und Leto zuzieht voller Genugtuung, denn ihre Tochter, die stolze Jungfrau, überstrahlt die anderen Mädchen alle – obwohl auch die sehr schön sind -, so übertraf auch Nausikaa alle in ihrer blühenden Anmut... ODYSSEE

Denken ist keine Funktion des Gehirns

"Keine Annahme scheint mir natürlicher, als daß dem Assoziieren oder Denken kein Prozeß im Gehirn zugeordnet ist; so zwar, daß es also unmöglich wäre, aus Gehirnprozessen Denkprozesse abzulesen. Ich meine das so: Wenn ich rede oder schreibe, so geht, nehme ich an, ein meinem gesprochenen oder geschriebenen Gedanken zugeordnetes System von Impulsen von meinem Gehirn aus. Aber warum sollte das System sich weiter in zentraler Richtung fortsetzen? Warum soll nicht sozusagen diese Ordnung aus dem Chaos entspringen? Der Fall wäre ähnlich dem - daß sich gewisse Pflanzenarten durch Samen vermehrten so daß ein Same immer dieselbe Pflanzenart erzeugt, von der er erzeugt wurde, - daß aber nichts in dem Samen der Pflanze, die aus ihm wird, entspricht; so daß es unmöglich ist, aus den Eigenschaften oder der Struktur des Samens auf die der Pflanze, die aus ihm wird, zu schließen, - daß man dies nur aus seiner Geschichte tun kann. So könnte also aus etwas ganz Amorphem ein Organismus sozusagen ursachelos werden; und es ist kein Grund, warum sich dies nicht mit unserem Gedanken, also mit unserem Reden oder Schreiben etc. wirklich so verhalten sollte. - Es ist also wohl möglich, dass gewisse psychologische Phänomene physiologisch nicht untersucht werden können, weil ihnen physiologisch nichts entspricht", schreibt Wittgenstein in Zettel. Um vielleicht zu verstehen, was er meint, setze man "denken", "vorstellen" u.ä.m. gleich mit "Lied". Wenn man etwa die drei singenden georgischen Frauen h i e r betrachtet - die Melodie des Liedes, welche sie singen, ließe sich wohl aus einer Notenschrift ablesen, nicht aber allein aus dem Zustand und den Modifikationen eines der drei Gehirne oder der beteiligten Gitarre, während es erklingt.

Otilje lieb, Otilje mein, Du wirst wohl nicht die letzte sein

Unter den Liedern, die Josepha sang, war ein Volkslied, das sie von der Zippel gelernt, und welches diese auch mir in meiner Kindheit oft vorgesungen, so daß ich zwei Strophen im Gedächtnis behielt, die ich um so lieber hier mitteilen will, da ich das Gedicht in keiner der vorhandenen Volksliedersammlungen fand. Sie lauten folgendermaßen – zuerst spricht der böse Tragig: »Otilje lieb, Otilje mein, Du wirst wohl nicht die letzte sein – Sprich, willst du hängen am hohen Baum? Oder willst du schwimmen im blauen See? Oder willst du küssen das blanke Schwert, Was der liebe Gott beschert?« Hierauf antwortet Otilje: »Ich will nicht hängen am hohen Baum Ich will nicht schwimmen im blauen See, Ich will küssen das blanke Schwert, Was der liebe Gott beschert!« Als das rote Sefchen einst das Lied singend an das Ende dieser Strophe kam und ich ihr die innere Bewegung abmerkte, ward auch ich so erschüttert, daß ich in ein plötzliches Weinen ausbrach, und wir fielen uns beide schluchzend in die Arme, sprachen kein Wort, wohl eine Stunde lang, während uns die Tränen aus den Augen rannen und wir uns wie durch einen Tränenschleier ansahen. HEINRICH HEINE (Memoiren)

The idea came . . .

. . . after the drunkeness went away.

Widersacher kommen nicht in Betracht ...

... denn mein Dasein ist ihnen verhaßt, sie verwerfen die Zwecke, nach welchen mein Tun gerichtet ist, und die Mittel dazu achten sie für ebensoviel falsches Bestreben. Ich weise sie daher ab und ignoriere sie, denn sie können mich nicht fördern, und das ist's, worauf im Leben alles ankommt; von Freunden aber laß ich mich ebensogern bedingen als ins Unendliche hinweisen, stets merk ich auf sie mit reinem Zutrauen zu wahrhafter Erbauung. GOETHE

Schwerkraft & Zweibeinigkeit . . .

. . . scheinen mir die Quelle von allem: denn weil uns erstere im Falle der zweiten zum Umfallen nötigt, müssen wir untentwegt Ausbalancieren. Das erforderte eine vergrößertes Koordiantionszenturm: das Gehirn. Den Ausgleichbewegungen aber entspringt - der Tanz, diesem alles weitere Können. (Künstliche Intelligenz = Intelligenz ohne Schwerkraft.)


Monica Loughman's The Children of Lir (Work in progress) New York City

On over-rating the difference between one permanent situation and another

The great source of... misery... of human life, seems to arise from over-rating the difference between one permanent situation and another... Some... situations may... deserve to be preferred...: but none... can deserve to be pursued with that... ardour which drives us to violate the rules either of prudence or of justice; or to corrupt the future tranquillity of our minds, either by shame from the remembrance of our own folly, or by remorse from the horror of our own injustice. A. SMITH

Stop searching for your passion

Shakespeare

Man kann Shakespeare nicht lieben, nur anstaunen.

Deutscher Leitwert aus Hegels Phänomenologie

"Es kömmt nach meiner Einsicht, welche sich durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken. Zugleich ist zu bemerken, daß die Substantialität sosehr das Allgemeine oder die Unmittelbarkeit des Wissens als diejenige, welche Sein oder Unmittelbarkeit für das Wissen ist, in sich schließt." Dieser genial schwäbisch verpfriemelte Satz aus Hegels Phänomenologie buchstabiert eine der zentralsten Aussagen | Errungenschaften deutschen Geistes: "Wahrheit" ist nicht nur "Substanz", also feststehend, sondern ebensosehr "Subjekt", also sich entwickelnd. Wessen wir aber dann auch inne sein mögen, es liegt liegt stets zugleich in dem, was uns begegnet (wir verformen mit anderen Worten die Realität nicht mit unseren Begriffen, sondern empfangen sie unmittelbar von dieser).

Musikzimmer

Pauline Kael über S. Rays JALSAGAR: A great, flawed, maddening film -- hard to take but probably impossible to forget. It's often crude and it's poorly constructed, but it's a great experience. Worrying over its faults is like worrying over whether King Lear is well constructed; it doesn't really matter.

Viel erlebt, nichts begriffen

Lässt sich die Erfahrung eines Menschen, der ‚viel gelebt’ hat nicht gewöhnlich auf einige triviale Anekdoten reduzieren, mit denen er seinen unheilbaren Schwachsinn ausschmückt?

Der Igel weiß eine große Sache!

Multa novit vulpes, verum echinus unum magnum!

Allgemeinplätze

Es gibt durchaus Wahrheiten, die sich nicht relativieren lassen, z.B. in Sprichwörtern: "In eine Wunde darf man kein Salz streuen." oder "Käsekuchen im Traum ist keine Käsekuchen, sondern ein Traum." - "Nicht viel nachgedacht, aber gut gemacht" - "Hätten die Fische was zu sagen, würden sie schon reden..."

Organisch vs mechanisch

The difference between "organic" and "mechanical" in social matters is a moral one: the "organic" is the result of innumerable humble acts; the "mechanical" is the result of one decisive act of arrogance.

Zurück in die Zukunft

"Strategisch gehen wir zurück in die Zukunft. Das ist ein optimaler Kern, in dem wir uns sehr wohlfühlen." Morgan-Stanley-Chef James Gorman in einem Interview

Fortschritt

The criterion of "progress" between two cultures or two eras consists of a greater capacity to kill.

Eine meiner Lieblingsromane

"For good company, that one sure comfort of our failures and disappointments, is the sinking of our own personal pettiness in an overwhelming consciousness of common humanity; quickened, if possible, by a common appreciation of gin." 

D. Footman PIG AND PEPPER

DREHBUCHAUTOREN IN DER BREDOUILLE - wo bleibt das deutsche Breaking Bad?

"Breaking Bad, Borgen, Bergdoktor - was können und was dürfen deutsche Autoren?" hieß ein Fachgespräch, zu dem der Verband Deutscher Drehbuchautoren neulich in den Presseclub München geladen hatte, und eine preisgekrönte Kollegin brachte es gen Ende auf den Punkt: von deutschen Autoren könne man nicht erwarten, dass sie auf einmal die Flügel spreizten, nachdem diese für ihren TV-Erfolg so außerordentlich effektiv getrimmt worden seien. - Fernsehdrehbücher werden im Auftrag geschrieben. Ein Autor tritt nicht spontan mit einer Idee an den Sender oder eine Produktionsgesellschaft, sondern bekommt von dort signalisiert, was gesucht wird. Drehbuchschreiben ist etwas für Profis: Arbeit - kein Vergnügen! Drehbuchschreiben kann nicht verzweifelt oder zuchtlos erledigt werden. Kein Autor steigert sich in ein Drehbuch, einem guten Drehbuch fehlt die Entäußerung. Es ist vielmehr perfekt gebaut. Beim Durchblättern solcher Drehbücher entspinnen sich vorm inneren Augen des Lesers Ereignisse, greifen Bilder und Verläufe geschmeidig ineinander, werden relevante Gegenstände, Themen behandelt in solch verschwenderischer Fülle, dass einen die Furcht beschleicht, es könne einmal doch der Stoff ausgehen und das Fernsehen seine Produktion einstellen müssen.

DER LETZTE DEUTSCHE Glosse von Botho Strauß | Deutung

Der Debattenbeitrag wurde am 2. Oktober 2015 im SPIEGEL veröffentlicht und anschließend in den Feuilletons der deutschen Zeitungen, wie ich fand, eher unverständig rezensiert. Ich liefere deswegen hier m|eine Deutung, die - Abschnitt für Abschnitt - den Haupt-Gedanken Strauß’ nachzeichnet und würdigt.

“Manchmal habe ich das Gefühl, nur bei den Ahnen noch unter Deutschen zu sein. Ja, es ist mir, als wäre ich der letzte Deutsche. Einer, der wie der entrückte Mönch von Heisterbach oder wie ein Deserteur 60 Jahre nach Kriegsende sein Versteck verlässt und in sein Land zurückkehrt, das immer noch Deutschland heißt - zu seinem bitteren Erstaunen. Ich glaube, ich bin der letzte Deutsche. Ein Strolch, ein in heiligen Resten wühlender Stadt-, Land- und Geistesstreicher. Ein Obdachloser.” Strauß beginnt mit einem Zitat aus einem seiner Romane. Die "Ahnen", bei denen sich der hier Sprechende zu Hause fühlt, sind - wie sich später zeigen wird - die Dichter und Geistesgrößen der deutschen Romantik. - "Romantik" wird oft falsch verstanden als Widerspiel zur Aufklärung, zu Wissenschaft und Kritik, aber sie meint deren Vervollständigung. Ein Wissenschaftler ist erst perfekt, wenn er sich parallel aufs Dichten versteht. Dieser Gedanke, welcher einmal deutschem Genie entsprang, ist uns heute fremd, beinahe lächerlich. Strauß bedauert dies, da er darin keinen Fort-, sondern einen Rückschritt sieht. Das Niveau, auf dem in Deutschland und nur in Deutschland einmal gedacht und gedichtet wurde, ist heute kaum mehr vorstellbar, und es gibt auch keine Institutionen, die seiner erinnern. Die noch davon wissen, gleichen den letzten Sprechern einer aussterbenden Sprache.

Erziehung

Erziehen heißt nicht Rezepte vermitteln, sondern Widerwillen und Begeisterung. DAVILA