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Abtreibungsgegner . . .

. . .werden in den USA als "single issue terrorists" bezeichnet, wenn sie Gewalt anwenden. In Deutschland habe ich die entschiedensten Abtreibungsgegner unter den Behinderten kennengelernt, um deren Betreuung sich meine Tante kümmerte. Sie befürchteten, wahrscheinlich nicht zu unrecht, dass es ihnen als Embryos mehrheitlich an den Kragen gegangen wäre, wenn ihre Mütter damals gewusst hätten ... Meine Tante wurde, wenn sie entsprechend aufgelegt war, auch nicht müde zu erzählen, dass ich selber nur knapp einer Abtreibung entgangen wäre. Kann aber nicht sagen, dass mich das sonderlich schockiert hätte. Die Frauen und Ärzte, die ihnen dienen, entscheiden, wer auf die Welt kommt oder nicht. In meiner Jugend wurde das durch die Parole ausgedrückt "Mein Bauch gehört mir", die harmloser klingt als "Über die künftige Zusammensetzung der Menschheit entscheide ich". Können die Frauen das denn überhaupt? Sind sie der Verantwortung gewachsen? Bei der Psychoanalytikerin Alice Balint las ich vor Jahren den Bericht über eine Gerichtsverhandlung auf dem ungarischen Land gegen eine Kindesmörderin. Balint beschrieb vor allem die Reaktion eines Bauernmädchens unter den Zuschauern, die den Prozess eine Farce fand, da die Angeklagte Selbstverstümmelung begangen hätte. Das Kind betrachtete die Analphabetin als persönliche Angelegenheit der Mutter. Selbstverständlich konnte diese darüber Verfügen wie über einen Körperteil. Balint spekulierte in ihrem Bericht, ob dies nicht die natürliche Reaktion oder Wahrheit sei. Inzwischen ist es bei uns wieder so, dass die Frau alleine entscheidet, ob sie ein Leben zur Welt bringt oder nicht. Nach welchen - bewussten oder unbewussten - Kriterien verfährt sie dabei? Wieso brachten z. B. während des Jugoslawienkrieges einige der vergewaltigten Frauen die so entstandenen Kinder zur Welt, während andere sie abtrieben? Hing es ab von dem Vater, selbst wenn sie ihn nur einmal sahen, oder spielten zufällige Faktoren eine Rolle? Es bleibt jedenfalls festzustellen, dass die Zusammensetzung der gegenwärtigen westlichen Gesellschaft mehr von dem Willen der Mütter bestimmt ist als die Generationen davor. Außer ev. in bestimmten Randbereichen oder Nischen der Gesellschaft - die deswegen auch mehr "problematisches Menschengut" hervorbrigen? Im gegenwärtigen Spiegel werden die Karrieren einiger IS-Terroristen beschrieben, die versagenden Väter, von den Müttern erfährt man nichts. Der Verdacht liegt nahe, dass sie lieber abgetrieben hätten.

Anstand . . .

. . . geht mir bei der momentan eingeklagten Reflektion "unserer Werte" durch den Kopf, entspringt dem Selbstwertgefühl! Das müssen wir den Fremden bei uns unbedingt beibringen: Ihre Kinder, damit sie zu "guten Deutschen" reifen, sollen sich allzeit gelobt fühlen nicht für harte Arbeit oder Liebenswürdigkeit, sondern weil sie "etwas besonderes" sind, je weniger Geduld sie m. a. W. jenen gegenüber zeigen, die ihre Überlegenheit nicht anerkennen. Wer da nicht weiß, ob sein Selbstbewußtsein schon hoch genug ist, braucht nur auf Grazie und Anmut schauen: wieweit diese ihn noch hindern, "bei sich" zu sein. Eine gemütliche Kaltschnäuzigkeit dagegen, gekoppelt mit der Bereitschaft, anderen etwas zuzumuten, ist zu begrüßen, so wie die soziale Begabung, selbst bei äußerster Freundlichkeit niemals angenehm zu werden.

Lachen . . .

. . . ist das Schwappen der Wellen gegen das Ufer (welches sie närrisch finden).

Worüber die lachst, dem wirst du dienen

Einer dieser Gemeinplätze, ich glaube, aus Russland, von denen man sofort spürt, dass sie eine tiefe Wahrheit ausdrücken. Die Eltern zum Beispiel dienen ihren Kindern, die Belegschaft dem Chef, die Frauen den Männern. Im Kasperletheater der Polizist kann, wenn er auftaucht, gleich mal prophylaktisch Prügel bekommen, dann lacht der Saal. Wieso? Worüber du lachst, dem wirst du dienen . . . Was wir verlachen, dem fühlen wir uns überlegen. Aber welchen Dingen gegenüber fühlen wir uns überlegen? Denen, würde ich antworten, die weniger zusammengesetzt wird als wir selbst. Der übliche Vorgesetzte ist Vorgesetzter geworden, weil er einen "aufgeräumten Schreibtisch" hat, weniger "Gepäck" mit sich herumschleppt als seine Untergebenen, wahrscheinlich sogar ein bisschen dümmer ist. Was man z. B. gerade der Kanzlerin in der Flüchtlingskrise ankreidet: sie sei einfach zu einfältig, um die Weiterungen ihrer Richtungsvorgabe zu übersehen. Aber die Klügeren, vielfältiger Ausgestatteten, Sinnreichen - wissen vor lauter Möglichkeiten nie, welchen Weg sie einschlagen sollen. Ihre Standard-Antwort ist: man habe die Sache noch nicht aus genügend Blickwinkeln betrachtet. Sie kommen dadurch nie zum Handeln, sondern folgen den Dummen. Worüber du lachst, dem wirst du dienen . . . Kinder üben eine außerordentlich disziplinierende Wirkung auf ihre Eltern aus, indem sie die Verläufe daheim nach ihren einfacheren Bedürfnissen ausrichten. Sie hören auf, Kinder zu sein, wenn sie "so kompliziert" wie ihre Eltern wurden. Hier lauert auch die Frage, ob Frauen "komplizierter", also vielfältiger zusammengesetzt, sind als Männer, und die Antwort liege einem auf der Zunge. Finden Männer Frauen komischer - oder müssen umgekehrt Frauen mehr über Männer lachen? Der Gegenstand des Gelächters aber ist der einfacher gestrickte und gibt - infolgedessen - den Ton an. Dieses Paradox drückt das Sprichwort aus: Worüber die lachst, dem wirst du dienen.

Hamleta

Theater wurde ja ursprünglich nur von Männern gespielt, die deswegen auch alle Frauen darstellen mussten. Infolge solcher Übergänge kennzeichnen wahrscheinlich sogar einige der namentlich männlichen Shakespeare-Rollen im Grunde Frauen, z. B. Hamlet - so wie umgekehrt manche Frauenrollen, z. B. Penthesilea, eigentlich Männerseelen haben. Das stellte sich wahrscheinlich besser heraus, wenn man wieder auf die Tradition zurück käme, alle Rollen in einem Stück nur von einem Geschlecht, egal ob Männer oder Frauen, spielen zu lassen.

Deleuze

Was ich zu Deleuze zu sagen hätte, leite ich mal aus der Arbeitswerttheorie ab, an welcher er ja ausdrücklich - in dem Lebenssummen-Zitat - festhält. Hier steht er nicht auf eigenen Beinen, sondern auf den Schultern Karl Marx', der wiederum in der Tradition der Aufklärung verharrt. Die Arbeitswerttheorie behauptet, dass die Quelle des Wertes einer Ware ausschließlich rührt aus der Arbeit eines Menschen, der ihr gegenüber lebt - nicht also etwa eines Toten, der z. B. eine Maschine gebaut oder erfunden hat, oder eines Tieres, einer Naturkraft; die leisten alle keine Arbeit im Sinne der Arbeitswerttheorie. Das sagt, weil es Marx sagt, Deleuze, und davon macht er keine Abstriche, im Gegenteil. Weder Tiere noch tote Menschen, noch Naturkräfte können infolgedessen ausgebeutet werden, der lebendige Arbeiter alleine hat ein Anrecht auf die Frucht seiner Arbeit. Warum ein lebendiger Mensch ein Anrecht auf die Frucht seiner Arbeit hat, wird nicht begründet, sondern gesetzt, ist also ein Dogma. Das Dogma der Kunstfertigkeit des Menschen. Weder Marx noch ihm zufolge Deleuze haben dieses Dogma - dass wir uns etwas aneignen, indem wir es herstellen - geschaffen. Vielmehr hat es christliche Wurzeln: Gott hat uns als Ausgabe seiner selbst geschaffen, welche dieselben Anrechte an ihren Produkten hat wie er auf die Welt. Die Aufklärung, in ihrem Kielwasser Marx und seine Epigonen haben diesen Gedanken nur verweltlicht, seitdem firmiert er unter "Individualismus". Warum, könnte man gleich einmal ketzerisch fragen, erwirbt jemand ein Produkt durch seine Arbeit. Weil diese einem selbst gehört? Folglich gehört einem etwas, wenn man sich unter es mischt? Der Besitz sickert dann gewissermaßen in den Rest? Warum bedeutet die Mischung meines Besitzes in etwas anderes nicht den Verlust, dessen, was ich besitze? Wieso gewinne ich dadurch, was ich nicht besaß? Eignen sich die radioaktiven Kühlwässer von Fukushima den Pazifik an, indem sie ihn durchdringen? Der große Ausbuchstabierer des Individuums war Descartes, und es hat kein französischer Philosoph nachher sich aus diesem Schatten lösen können, sondern liefert immer nur wieder Parodien des dogmatischen "schöpferischen Individualismus", so wahrscheinlich auch Deleuze mit seiner kreativen Auffassung von Philosophie, die als "Produktion von Begriffen" propagiert wird. Man kann die Sache mit der Welt und des Menschen Rolle in ihr freilich auch anders sehen. Ich will hier nicht wieder mit Wittgenstein kommen, sondern zitiere Chief Seattle: "This we know: the earth does not belong to man, man belongs to the earth. All things are connected like the blood that unites us all. Man did not weave the web of life, he is merely a strand in it. Whatever he does to the web, he does to himself." Eine ganz andere Sicht der Welt und unserer Stellung in ihr, oder? Manchmal spürt man, wie Deleuze dort hinreicht, aber sein Marxismus, also verkapptes Christentum, hält ihn zurück.

Charakter & Handlung

Was aufeinander folgt, der Lauf der Dinge, fließt dahin, bedeutungslos. Erst durch CHARAKTER wird es zum PLOT. Einerseits: die H a n d l u n g einer Geschichte – andererseits: C h a r a k t e r e. Während Handlung weitergeht, steht Charakter still = bildet sich nicht aus Fort-, sondern aus Rundlaufendem (Wiederkehrendem). Charakter ist erstarrte Handlung, die als Leitung für nicht erstarrte, flüssige Handlung funktioniert; dies Verhältnis ändert sich mit der Zeit, indem fließende Handlung erstarrt und feste wieder flüssig wird. Charakter(istisches) kann wieder „in Bewegung“ geraten = das Flussbett seines Wesens sich verschieben. Man unterscheidet zwischen Plot (Fortrollen von Handlung im „Flussbett“ der Charaktere) und Charakterentwicklung (Bewegung des Flußbetts), obwohl es eine scharfe Trennung nicht gibt, denn beidemal ist es Handlung.

Lanark: A Life in Four Books

Man braucht eigentlich nur die ersten zwei-drei Sätze eines Romans zu lesen, um zu sehen, was er taugt, z.B.: ‘The Elite Café was entered by a staircase from the foyer of a cinema. A landing two thirds of the way up had a door into the cinema itself, but people going to the Elite climbed farther and came to a large dingy-looking room full of chairs and low coffee tables. The room seemed dingy, not because it was unclean but because of the lighting. A crimson carpet covered the floor, the chairs were upholstered in scarlet, the low ceiling was patterned with whorled pink plaster, but dim green wall lights turned these colours into varieties of brown and made the skins of the customers look greyish and dead.’

Die dunkle Seite der Macht . . .

. . .hatte auch mich einmal gerufen. Noch heute schwindelt mir etwas bei der Erinnerung an das von der Stirne gewischte Blut - damals in Kalkutta. Die indische Göttin Kali kann bestochen werden. Wenn einem bei uns jemand auf den Zeiger geht oder im Weg steht, und wir wünschten ihm eine tödliche Krankeit auf den Hals - an wen kann man sich da schon wenden? Der Hindu geht zum Kali-Tempel. Dort kann man Tiere opfern lassen, nicht gerade billig, um bösen Zauber zu dingen. Es werden ca. 5.000 € investiert, um den Mitbewerber um einen begehrten Job oder eine Rivalin um einen wohlhabenden Bräutigam zu erledigen. Als neugieriger Tourist wurde ich natürlich gleich von einem der Priester beschlagnahmt, der mich überall herumführte. Es herrschte eine laute, gereizte Stimmung unter den schubsenden Besuchern des Tempels, der, wie ich erfuhr, auch von unfruchtbaren Frauen aufgesucht wurde; nach erfolgreicher Geburt brachten sie ihre Babys zurück, um deren schwitzende Köpfchen an den verschmierten Blutsteinen der Göttin zu reiben. Schon befand ich mich in einer waschküchenartigen Halle und sah jetzt überall die Straßenhunde. Sie äugten gierig, ohne sich näher heran zu wagen, auf Blutpfützen, die verstreut über den Kachelboden eindickten. Ein panisch-böse um sich schauender Ziegenbock wurde zu einem Holzgestellt gezerrt. Dort stand eine Familie und überreichte dem fetten, habnackten Priester ein dickes Bündel Geld. Nachdem dieses zweimal durchgegezählt und verstaut war, hieb ein dürrer Messdiener mit einem hakenförmigen Stecken auf eine schmutziges Trommel-Fell. Bong-bong-bong! Der Ziegenbock wurde in das Gestell gedrückt, der Priester holte mit einer messerförmigen Axt aus und hieb ihm den Kopf ab. Die Hunde sprangen erregt hinzu, um von dem Blut zu schlecken, bevor sie weggetreten wurden. Noch benommen von dem Schauspiel, folgte ich dem Priester ins Heiligtum der Göttin, randvoll schwitzender Besucher, die den Blick auf alles weitere versperrten. Ob ich die Göttin sehen wolle? fragt mich der Priester und bedeutete mir, mich zu bücken. Als ich in die Knie ging, bog sich auf einmal das Beingewimmel vor mir auseinander, bildete einen Tunnel, an dessen Ende Kali erschien: drei dicke weiße Striche stießen auf einen schwarzen Punkt, welcher aus der Mitte einer dreckigen Steinplatte starrte. Ich spürte etwas Feuchtes im Gesicht, zugleich schloss sich ein Band um meinen Arm. Der Priester hatte mir Blut aus dem Opferraum auf die Stirne geschmiert und eine zottige Devotionalie angelegt. - Die riss ich mir, als ich auf die Straße entkommen war, augenblicklich vom Handgelenk und reinigte meine Stirn von dem Blut aus Kalis Tempel. Nur zögernd fühlte ich die böse Nässe weichen . . .

Glauben vs. Wissen

Es glaubt eigentlich niemand, dass er sterben wird - er weiß es bloß.

Dekoltees

Eine Untersuchung der Frauenmode in VOGUE zwischen 1919-1999 ergab, dass in Zeiten wirtschaftlicher Not die Dekoltees zunahmen... (Hill, R.A., Donovan, S. & Koyama, N.F. (2005) Female Sexual Advertisement Reflects Resource Availability in Humans. Human Nature 16: 266-277.)

Tod als Ratgeber?

Mir ist gestern ein Video bekannt gemacht worden, in dem S. Jobs amerikanischen Studenten als Leitfaden vorstellt, in entscheidenden Fragen an den eigenen Tod zu denken. Ein Anwendungsbeispiel gibt er nicht. Muss man sich vorstellen, dass so z.B. die graphische Benutzeroberfläche für Computer entstanden ist?