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Falsches Ende

Das falsche Ende ist die Antithese vom richtigen Ende: wenn vor dem Ausklang einer Geschichte dessen Gegenteil unausweichlich wird. Es ist für den Autor eines des mächtigsten Mittel, seine Erzählung frisch und überraschend zu gestalten.
Ich gebe am besten ein Beispiel - aus meinem eigenen Schaffen . . .
In einem meiner Projekte, einer Serien-Idee, soll der Schwiegervater der Hauptfigur im Pilotfilm getötet und seine Leiche im Garten des ahnungslosen Nachbarn begraben werden, wo sie mehrere Staffeln lang unentdeckt bleibt.
Dafür musste ich eine Geschichte erfinden, die damit endet, dass die Leiche in beschriebener Weise entsorgt wird. Wie konnte ich Spannung hineinbringen? Indem ich etwas in Aussicht stelle, dessen Eintreten die Zuschauer (hoffentlich) interessiert. Ich habe mich für den Geschäftserfolg des Schwiegersohnes entschieden. Er hat eine vielversprechende Geschäftsidee, deren Schicksal die gesamte erste Staffel bewegt. Der Pilotfilm soll enden mit einer unerwarteten Aufwärtsbewegung für diese Geschäftsidee.
Das falsche Ende besteht folglich im Gegenteil: dem unfehlbaren Tod der Geschäftsidee.
Die Schlussbewegung - aufwärts - von diesem falschen Ende korreliere ich mit der Beseitigung des Schwiegervaters. Dadurch, dass er entsorgt wird, wiederauferstehen die Geschäftschancen der Hauptfigur. Das falsche Ende beinhaltet demzufolge den Triumph des Schwiegervaters.
Es sieht so aus: der Schwiegervater konfrontiert seinen Schwiegersohn mit der drohenden Zerstörung seiner Geschäftsidee. Es ist ein Moment, in dem alles, was wir als Zuschauer erwartet hatten, zu Asche wird. Nie war der Held weiter von seinem Ziel entfernt als in diesem Moment.
Höhepunkt: Er beseitigt den Schweigervater, entsorgt die Leiche mit Hilfe eines unheimlichen Nachbarn, und kann jählings geschäftlich prosperieren.
Das falsche Ende war hier negativ, das richtige positiv. Es kann sich ebenso umgekehrt verhalten.
Nehmen wir als Beispiel die Geschichte einer sterbenden Beziehung. Sie endet mit einer Scheidung. Vielleicht werden nur die paar Stunden gezeigt, die ein Paar vor der Scheidung verbringt. Es müssen bestimmte Dinge organisiert und abgewartet werden, am Schluss steht der Termin vor dem Richter.
Das falsche Ende dieser Geschichte bestünde in einem Moment, der die Scheidung ausschließt. Wir müssen in diesem Moment denken als Zuschauer, dieses Paar wird sich nie scheiden. Die Höhepunktgeste besteht dann in der Bewegung von diesem Moment - zur Scheidung.
Warum ist das falsche Ende für Autoren ein so fruchtbarer Kunstgriff?
Es gibt unserer Erzählung eine nichtvorhersehbare Richtung: indem wir sie - auch für uns - so entwickeln, dass das falsche Ende eintreten muss. Man weiß am besten selber nicht, wie man's noch in sein Gegenteil wenden kann.
Und dann erst, nachdem man sich mit seiner Hauptfigur in eine aussichtslose Lage bugsiert hat, erfindet man, was das Gegenteil herbeiführen muss. Um diese Erfindungen zu ermöglichen und abzusichern, muss man in der Regel auch das bisher Erzählte durchgehen, es entsprechend justieren. Der Verlauf behält trotzdem das meiste von jenem Nichtvorhersehbaren, das er nicht hätte, wenn man gleich auf das richtige Ende zuerzählen würde - das trotzdem am Anfang ins Gemüt des Zuschauers gesetzt werden sollte.
Du weißt, dass du eine potentiell funktionierende Geschichte hast, wenn du dein falsches Ende kennst.