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Horrorfilme als Quelle der Moral

Ich wüsste nicht, dass ich bereits Krebs hätte, rechne aber fest damit, irgendwann daran zu sterben. Nach allen Fachbüchern, die ich zu dem Thema las, scheint Krebs unabwendbar, eine Weiterung der Evolution. Wir Vielzeller sind auch heute noch von unendlich viel mehr Einzellern umgeben, die das Wagnis des Zusammenschlusses scheuten. Denn sein Preis ist die Möglichkeit des Krebses. Deswegen ist unser Leben tragisch. Aber wie sähe es ohne Krebs aus? Wie das von Einzellern! Wenn andererseits wir alles haben könnten problemlos durch Wollen und ewig lebten - wären wir keine Geschöpfe mehr, sondern Gott. Nur im Beschränktsein liegt das Kreatürliche: im "Krebs". Die Wissenschaft vermisst unsere Welt als das, was nicht bestehen muss ("kontingent" ist), und viele metaphysische Schlaumeier gefallen sich im Hegen der Fantasie, solche Schöpfung sei drum nicht der Rede wert. Und doch zerreißt es dir und mir das Herz, wenn etwas oder jemand, an dem wir hingen, aufhörte zu existieren. So ist es gerade die Möglichkeit des Todes, welche unser Denken und Muten in immer empfindlichere Höhen treibt - und entspringt der Beschränktheit nicht nur unser Leiden, sondern auch, dass wir s i n d. Als menschliche Wesen können wir das Entsetzliche nicht tilgen; andererseits steht es sehr wohl in unserer Macht, es nicht zu vermehren. Ein guter Mensch ist jener, der dem Leiden mit Würde begegnet und davon absieht, es spontan zu vergrößern. Es ist diese Polarität zwischen unseren Möglichkeiten, dem Unglück etwas oder nichts hinzuzufügen, welche den Maßstab liefert für ein mehr oder weniger erfülltes Dasein. Personen, welchen der Sinn des Lebens abhanden gekommen ist, die nicht mehr wissen, was sie noch tun sollen, haben diese Möglichkeit - dem Unglück nichts hinzuzufügen - aus den Augen verloren. Das Gute ist folglich nicht möglich ohne das Böse, dem gegenüber es sich erhebt, und es gibt nicht Bedeutendes ohne Polarität. Um etwas Entscheidendes aufzuweisen, bedarf die Schöpfung des Krebses. Und wenn die Menschheit immer mehr den Weg des Guten einschlüge, würde das Böse immer mehr zum Möglichen, das weiter leben muss in unseren Gemütern, damit sein Gegenüber nicht zusammenbricht. Dies ist der moralisch entscheidende Grund für die Notwendigkeit des Horrorfilms: weswegen er - zur moralischen Entwicklung - gefördert und nicht weiter dem Bereich des Niederen zugeschlagen werden sollten.