Dieses Blog durchsuchen

Die Abschaffung des Innen



Was Wittgensteins Philosopie so schwer zu verstehen und schließlich so befreiend macht, ist die in ihr liegende "Abschaffung der Innenwelt".

Was heißt: Ideen, Vorstellungen, Empfindungen, das Sich-Erinnern oder Beabsichtigen, die Erscheinungen des Bewusstseins und unser Gemüt schlechthin werden als nichts Privates, irgendwie Unweltliches, sondern öffentliche Ereignisse herausgestellt, auf jeden Fall restlos gegenwärtig und zugänglich.

Es ist nicht einfach, spontan zu begreifen, worauf Wittgenstein einen damit bringen will. Denn er trifft keine Aussage, sondern spürt den Weisen unserer Alltagssprache nach bis in ihre letzten Verästelungen.

"Innen" und "außen" erweisen sich infolgedessen als Zeichnungen desselben Gewebes, die ineinander übergehen. Das Gemütliche legt zu, indem das Muster komplizierter und kunstvoller wird. Etwa hat hat eine Kathedrale mehr Seele als eine Bauhaus-Gruppe in dem Masse, in dem sie mehr Bestandteile einbindet.

Was wir Seele oder Gemüt nennen, ist eine besonders feine Zisilierung und Regsamkeit der Materie. Wittgenstein weist darauf hin, dass, was wir "Wissen" nennen, in der Vereinfachung lebendiger Muster besteht, die infolgedessen handhabbarer, aber auch unmenschlicher werden. Wie beispielsweise die modern ausgerichteten Bauten im Vergleich zu den älteren oder den naiven Schlössern, die Kinder im Sand bauen.

Da Wittgenstein rigoros immanent ist, nur gelten lässt, was objektiv beschrieben werden kann, wird der leicht für einen Behavioristen gehalten. Er leugnet aber nicht das "Innenleben" und sieht auch nicht von diesem ab, sondern möchte es im Gegenteil vor der Verflachung retten, indem er der ganzen Pracht seiner Möglichkeiten oder Muster nachgeht, wie sie heute höchstens verkrüppelt noch zum Ausdruck kommt in dem einen oder anderen Kunstwerk, sonst beispiellos gefährdet ist durch die Algorithmisierung des Alltags.

Persönlich sehe ich da kein Entrinnen und spekuliere, dass wir übergehen in eine Zombie-Welt algorithmisierter Klone, die mindestens schmerzfrei sein wird. Ich denke, diese Entwicklung dürfte ungefähr 300 Jahre anhalten, bevor es zu einer Wiederbelebung des Seelischen kommt, wahrscheinlich mit Hilfe der Entdeckung und Fruchtbarmachung von Wittgensteins Vormarsch, der radikal gegen all das steht, was im Moment dazu verurteilt ist, fortzuschreiten.

Aus diesem Grunde ist Wittgenstein gerade so außer Mode, ohne freilich auch vorher tiefer begriffen worden zu sein. Aber seine Zeit wird kommen.