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Deleuze und die Heldenreise

Was wird aus meinem Job, wenn die ganzen Lektionen jetzt im Internet auftauchen? Pixar veröffentlicht gerade seine bodenständigen Regeln "storytelling" via Khan-Academy. Jeder kann sich die Tricks dort abschauen. Dauerbrenner bleibt das Heldenreise-Modell mit seinen Schlüssel-Begriffen "mode" und "need", eingedeutscht "Ziel" und "Bedürfnis". Die Heldenreise besteht im Durchnehmen | Umgestalten des Bedürfnisses. Was will deiner Hauptfigur - was ist ihr Bedürfnis? Letzteres kann ersteres verändern. Das Gewollte stellt einen künftigen Sachverhalt vor, einen Zweck. Das Bedürfnis dessen Witz. Der Zweck hat ein Datum. Das Bedürfnis umgibt dieses mit Bedeutung - durch alternative Zwecke für dieses Datum. Gretchen möchte das Innigste von Paul. Dies wird zu Gretchens Bedürfnis erst, wenn sie's auch von Marco oder einem ihr vielleicht noch unbekannten Mann haben könnte - oder durch etwas, dessen Wahrwerden Innigkeit mit Männern ausschließt. Die Gegenstücke müssen nur um das Datum wettstreiten, um bedeutend zu sein: "Bedürfnis" zu formen. (Oder sie ist Star-Köchin, möchte ein bestimmtes Restaurant übernehmen. Zu einem Bedürfnis wird dies erst, wenn sie Alternativen hätte: ein anderes Restaurant zu übernehmen oder etwas noch davon Verschiedeneres zu tun.) Deleuzes Ontologie entspringt einem Möglichkeitsraum, welchen er manchmal "plan d'immanence", manchmal "corps sans organes" nennt: "Körper ohne Organe". Mit "Organen" ist gemeint, was ein Datum in sich hat, mit "Körper" dessen Form. Der "Körper" ist der Maßstab, die "Organe", was diesem - mehr oder weniger - entspricht. Der Wille: sein Wesen liegt im Bedürfnis, sein Gegenstand ist der Zweck. Meinem Bedürfnis kann ich genügen durch einen Willensakt. Gretchen kann sich für Marco entscheiden anstelle von Paul, ihrem "Körper" (Willen) andere "Organe" (Zwecke) geben, ohne infolgedessen deren Zweck erfüllen zu müssen (Tragödie). Ihre Heldenreise hat sie zurückgelegt durch die Bestimmung der Organe. Deleuze predigt, wir könnten unentwegt neue Organe konfigurieren, also uns Weisen der Welt vorstellen, die es noch nicht gibt, die aber angelegt sind im Sein der Dinge. Filme könnten oder sollten dies z. B. leisten, neue, unerhörte Welten entwerfen. Die Heldenreisen-Dramaturgie versucht, dasselbe zu sagen, wobei sie die psychologischen Schwierigkeiten betont, die das Aufgeben bewährter Strukturen begleiten. Aber wo wäre heute auch nur ein Zipfel zu beobachten von möglichen "neuen Welten"? Nachdem ich leider Spengler gelesen habe, kommt es mir wahrscheinlicher vor, dass neue Welten nicht willentlich hervorgebracht werden können, weil der Wille eher eine Funktion, keine Quelle der Welt ist. Wir können nichts Neues in unsere Umgebung schaffen, sondern nur deren Entwicklungs- oder Verfallsstand spiegeln. Es entsteht schon Neues, aber ohne, dass wir etwas dafür tun könnten - außer, uns ihm nicht in den Weg zu stellen.