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Die Krankheit zum Tode

Es gibt Texte, von denen ich erst mal kein Wort verstehe, trotzdem aber sicher bin, dass sie etwas Wichtiges sagen, z. B. hier Kierkegaards Einstieg zu "Die Krankheit zum Tode"
Zitat:
Der Mensch ist Geist. Aber was ist Geist? Geist ist das Selbst. Aber was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das am Verhältnis, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält. Der Mensch ist eine Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Zeitlichem und Ewigem, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz, eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen zweien. So betrachtet ist der Mensch noch kein Selbst.
Im Verhältnis zwischen zweien ist das Verhältnis das Dritte als negative Einheit, und die zwei verhalten sich zum Verhältnis und im Verhältnis zum Verhältnis; so ist unter der Bestimmung Seele das Verhältnis zwischen Seele und Leib ein Verhältnis. Verhält sich dagegen das Verhältnis zu sich selbst, dann ist dieses Verhältnis das positive Dritte, und dies ist das Selbst. Ein solches Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, ein Selbst, muss entweder sich selbst gesetzt haben oder durch ein anderes gesetzt sein.
Ist das Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, durch ein anderes gesetzt, dann ist das Verhältnis wahrscheinlich das Dritte, aber dieses Verhältnis, das Dritte, ist dann doch wiederum ein Verhältnis, verhält sich zu dem, was da das ganze Verhältnis gesetzt hat.
Ende des Zitats
Der Text fasziniert mich, ich will ihn hier einmal deuten. Es geht darin, denke ich mal, darum, dass wir als Menschen fast nie können, wie wir wollen. Man nimmt sich etwas vor - mit bestem Willen und Gewissen - und dann bricht in einem würdelosen Moment doch wieder alles zusammen (und man hat 3 Kilo zugenommen, die Kinder geschlagen, 5 Stunden im Internet gesurft statt zu arbeiten u. ä. m.). Kierkegaard sieht das offenbar nicht psychologisch, sondern aus Sicht des Theologen: Gott hat die Welt und in ihr den Menschen so gemacht, dass dieser unmöglich allein damit fertig werden kann, indem Tierisches und Geistiges sich in ihm unrettbar vermengen.
In diesem Sinn übersetze ich obige Passage ins Gemeindeutsche:
Ganz Mensch wird nur, wer ein Selbst entwickelt. Aber was ist das: Selbst?
Das Selbst besteht im Merken auf ein Gemenge; es interessiert sich für dessen Vermischtheit. Das Selbst besteht nicht in dem Gemenge, sondern lässt sich auf dieses ein. Der Mensch ist eine Mischung von Engel und Teufel, von Höchstem und Niederigstem. In dieser Mischung vermengt sich zweierlei. So gemischt, ist der Mensch noch kein Selbst.
Denn die Mischung allein zerfällt "negativ" in ihre Bestandteile, z. B. Seele und Leib; "positiv" wird sie erst im Hinblick auf ein Selbst, welches ihr nachgeht. Als Selbst entsteht es entweder spontan oder ist Frucht fremden Wollens.
Verdankt es sich einer fremden, also übermenschlichen Quelle, macht diese etwas gut, indem sie als Selbst eine missliche Lage vermittelt.