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Gutmensch . . .

. . . ist das in den letzten Jahren am meisten gehörte Schimpfwort. Wer will schon ein "Gutmensch" sein, ein "Opfer"? (Ein "Jon Snow"?)
Einen erhellenden Hintergrund für die Sorge, als "Gutmensch" daneben zu liegen, liefert Friedrich Nietzsche in "Wille zur Macht" (ich zitiere und kommentiere):
"Dionysos gegen den »Gekreuzigten«: da habt ihr den Gegensatz. Es ist nicht eine Differenz hinsichtlich des Martyriums – nur hat dasselbe einen anderen Sinn."
Nietzsche vergleicht hier den griechischen Gott Dionysos mit Jesus. Beide müssen sterben: Dionysos wird von den Titanen zerrissen, Jesus gekreuzigt. Aber der Tod habe, so Nietzsche, in beiden Fällen einen anderen Sinn.
"Das Leben selbst, seine ewige Fruchtbarkeit und Wiederkehr bedingt die Qual, die Zerstörung, den Willen zur Vernichtung."
Im Fall des Dionysos ist sein Tod eine Weiterung und somit Bestätigung des Lebens. (So wie etwa die Sieger in Game of Thrones sich nach dem Töten ihrer Gegner revitalisiert und mächtiger fühlen.)
"Im andern Falle gilt das Leiden, der »Gekreuzigte als der Unschuldige«, als Einwand gegen dieses Leben, als Formel seiner Verurteilung."
Im Fall von Jesus wird dagegen die Ungerechtigkeit beklagt; wir stehen nicht auf der Seite der Sieger, sondern des Opfers.
"Man errät: das Problem ist das vom Sinn des Leidens: ob ein christlicher Sinn, ob ein tragischer Sinn. Im ersten Falle soll es der Weg sein zu einem heiligen Sein; im letzteren Fall gilt das Sein als heilig genug, um ein Ungeheures von Leid noch zu rechtfertigen."
Das Christentum weist das Leben in seiner "blutigen Form" zurück, will unser Sein statt dessen "heiligen", besser machen, während der "tragische Stil" menschliches Leiden begrüsst, um den Genuss zu retten, den es ebenfalls - zumindest den Siegern - liefert
"Der tragische Mensch bejaht noch das herbste Leiden: er ist stark, voll, vergöttlichend genug dazu; der christliche verneint noch das glücklichste Los auf Erden: er ist schwach, arm, enterbt genug, um in jeder Form noch am Leben zu leiden."
Die Zeilen erklären sich von selbst. Wobei Nietzsche unterstellt, zwischenmenschliche Rücksicht höhle das Leben aus und fördere eine Scheinexistenz.
"Der Gott am Kreuz ist ein Fluch auf das Leben, ein Fingerzeig, sich von ihm zu erlösen; – der in Stücke geschnittne Dionysos ist eine Verheißung des Lebens: es wird ewig wiedergeboren und aus der Zerstörung heimkommen."
Soweit die "Anti-Gutmensch"-Passage aus "Wille zur Macht".
Nietzsche war selber ein kränklicher Mensch, in gewissem Sinne saß er im Rollstuhl, konnte nie eine Frau für sich interessieren, musste auf die meisten Genüsse des Lebens verzichten. Es liegt nahe, wonach er sich verzehrte. Für einen Verdurstenden wird das Wasser zur Hauptsache. Ihm könnte leicht eine Philosophie geraten: in dieser Welt geht es allein "um Wasser" - alles andere ist nur Verzerrung des Durstes!
Das Christentum steht auf der Seite der Schwachen, Besiegten, hat seinen eigenen Gott zum Opfer gemacht. Denkt man mehr darüber nach, gibt es keine vergleichbare Religion - mit einem Gott, der heimtückisch "ermordet" wird und eben dadurch etwas anstiftet. Im Neuen Testament geht es schließlich darum, diesen Mord zurück zu nehmen, den "guten Menschen" wieder auferstehen zu lassen. Das mag eine fromme Fantasie sein, interessant ist aber doch die dahinter stehende Identifizierung mit eben jenem, welchem "Unrecht" widerfuhr. Nicht mit den Tätern.
Unsere spontane Neigung fliegt zu den "Tätern", den "Starken", die sich auf Kosten der Schwächeren durchsetzen (zu den Lannister, nicht den Stark).
Daher der Ekel vor den "Gutmenschen"?