Spielform des Dramas, in der den Helden oder mehrere
Hauptfiguren der Tod ereilt, meistens zum Schluss. Das schreckliche Ende erfüllt eine die ganze Zeit über im
Zuschauer herangebildete Erwartung. Entsetzen und Mitleid „reinigen“ (nach
Aristoteles) die Seele.
In dieser Hinsicht nähert sich
das Melodrama der Tragödie. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: in
der Tragödie enthüllt die Katastrophe der Hauptfigur eine unüberbrückbare Kluft
zwischen menschlichem Wünschen und dem Sosein der Welt. Im Melodrama gibt es
diese Kluft nicht. Erleiden und Gewalt sind Prüfungen, die die letztliche
„Richtigkeit“ der Weltordnung erweisen. Wenn ein melodramatischer Held stirbt,
dann entweder, weil er sich für eine gute Sache opfert – oder weil er es
verdient, unterzugehen (sich dieses Ende eingehandelt hat). Die erschütternde
Wucht einer Katastrophe, der Triumph des Bösen bestehen im Melodrama letztlich
nur als dunkler Hintergrund für den dadurch umso strahlender leuchtenden
Endsieg des Guten.
„Tragisch“ kennzeichnet keine
menschliche Erfahrung, sondern eine Literaturform, die Aischylos und seine
unmittelbaren Vorgängern im antiken Athen geschaffen haben; ihre Theaterstücke
hießen Tragödien - nicht wegen ihres besonders "tragischen" Inhalts,
sondern weil ihre Aufführung im Zusammenhang mit „Böcken“ (griech. tragos)
stand. "Tragisch" ist ein Vorgang daher dann, wenn er nach Art der
Tragödie dargestellt wird.
Eine griechische Tragödie
behandelt menschliches Versagen – im Gegensatz zur Komödie – mit Erbarmen.
Derselbe Inhalt kann gefühlvoll-tragisch oder gnadenlos-komisch dargestellt
werden. Aus komischer Sicht verdankt sich menschliches Scheitern der Dummheit,
für die Tragödie liegt es im unmenschlichen Plan der Schöpfung. Die Tragödie
erspürt und würdigt das im Scheitern übrig bleibende Menschsein. Leiden, das
ein Zuschauer privat verdrängt, da es ihm den Lebensmut rauben würde, lebt in
der Tragödie als universale Größe und fördert so beim Zuschauen das Erleben,
nicht grausam herausgegriffen zu sein, sondern einer Bruderschaft anzugehören,
die einige der größten Helden der Menschheit einschließt. Die Tragödie ist
nicht – wie der Komödie – klug, vermehrt nicht unser Wissen, sondern vermittelt
dem Zuschauer das Gefühl, in seinem Leiden nicht alleine zu stehen.
Das zentrale Element der
Tragödie ist die Katastrophe (auch wenn diese nicht selten verhindert wird).
Die tragische Katastrophe ist nicht, wie im Epos, Episode, sondern Hauptsache.
Sie ist auch nicht Teil der Erziehung des Helden, sondern ein dunkler
Hintergrund dessen, was ihn zuinnerst ausmacht: seines Menschseins. (Ihr Erbe
ist daher auch nicht der Roman, sondern – im Kreisen um ein einziges
ungewöhnliches Ereignis – die Novelle.)
Der tragische Held ist
unverzagt, sein Mut und seine Ausdauer im Leiden heischen Bewunderung, nicht
Gelächter. Man ist, nachdem man eine Tragödie gesehen hat, stolz darauf, ein
Mensch zu sein.
Fast alle klassischen
Tragödien entspringen gewöhnlichen Beziehungen: zwischen Liebenden oder Eltern
und Kindern (außergewöhnliche Beziehungen bieten dem Zuschauer weniger
Erfahrung aus erster Hand). Oft ist „Blindheit“ ein zentrales Motiv: die
Unfähigkeit, diejenigen, die einem am nächsten stehen, als das zu erkennen, was
sie wirklich sind. Häufige Themen sind auch der „Fluch der Tugend“ und „falsche
Gerechtigkeit“. Das größte Übel breitet sich in griechischen Tragödien weniger
durch die Anmaßung des Widersachers aus als durch seine Unerbittlichkeit.
Während die Komödie (blasiert)
behauptet, dass Übel und Unergiebigkeit in der Welt auf Wissensmangel und
menschliche Entartung zurückgehen, stellt die Tragödie (jammernd) den Menschen
in einer Welt vor, an der er scheitern muss.
Während der griechische
Tragödien-Held keine Entwicklung durchmacht, durch starr-mutiges Festhalten an
seinem Weg Bewunderung erzwingt, bekämpfen sich in der Seele des modernen
Helden gleichwertige Neigungen. Seinen Untergang verursacht dann die
Einseitigkeit: die Entscheidung für das eine um des anderen willen. Der
Shakespearesche Held schlägt, nicht mehr, weil er muss, sondern aus freien
Stücken, eine Richtung ein, die er dann - wohl oder übel - durchhält.
Shakespeares Tragödien zeigen, wie eine Leidenschaft geweckt wird und sich
entfaltet, den Fortgang einer großen Seele, die sich selbst zerstört im Kampf
mit Umständen, Verhältnissen und ihren Folgen. Shakespeares Figuren bestricken
durch Lebendigkeit, Fantasie, Witz, Innigkeit und Empfindungsgabe. Aus freien
Stücken handelnd, betrachten und deuten sie sich selbst fast wie ein Künstler
sein Werk. Ihr Scheitern wird schließlich nicht alleine von unglückliche
Umstände oder äußere Zufälligkeiten verursacht; diese kommen vielmehr immer
auch mit durch das zustande, wogegen und wofür der Held sich einmal entschieden
hatte. Seine Absichten mögen dabei besser gewesen sein als seine Werke; nur für
letztere kann er schließlich aber die Verantwortung übernehmen. Wodurch er
dann, etwa im Falle Macbeths, nicht etwa "Rache an sich selbst"
nimmt, sondern einsteht für das, was er sich eingehandelt hat. („Dass man gegen
seine Handlungen keine Feigheit begeht!“ kommentiert Nietzsche in
Götzendämmerung I,10, „dass man sie nicht hintendrein im Stich lässt! – Der
Gewissensbiss ist unanständig.“)
Der tragische Held akzeptiert
die Welt so, wie sie mit ihm geworden ist, einschließlich des Leids, das sie
verursacht.
Dante nannte sein christliches
Vers-Epos Göttliche Komödie, da es den Weg zum rechten Tun und Sein zeigt, dessen
Folgen zwangsläufig angenehm und lohnend sind. Platonisch-christlich
inspirierte Ethik ist mit der Tragödie unvereinbar, weil Tugend im Diesseits,
auch wenn sie scheitert, im Jenseits immer belohnt wird. Das Leiden im
Diesseits dauert nicht ewig und bedeutet daher nichts. Die Qualen in der Hölle
sind nicht tragisch, da sie verdient sind. Das Christentum kennt insofern keine
Würdigung des Menschen im Scheitern; es fehlt die Möglichkeit, ihn größer zu
erleben als die Mehrzahl jener, die nicht scheitern. Es ist eine Sünde, die
Verdammten zu bewundern. Selbst Christi Leiden sind nicht tragisch, da sie
etwas Sinnvolles bewirken. Hier liegen die Ursprünge des Melodrams: Leiden als
Vorform der Erlösung.