Ludwig Wittgenstein ist der bedeutendste Philosoph der
Neuzeit. Ihm ist an der Überwindung der auf Plato und Aristoteles
zurückgehenden und das philosophische Denken der letzten 2.000 Jahre
prägenden Vorstellung gelegen, dass wir als Menschen einer Außenwelt gegenüberstehen,
welcher wir uns durch „Werkzeuge“ des Denkens bemächtigen.
Eine die Welt und ihre Verhältnisse planende Philosophie,
die berechnet und begründet, ersetzt Wittgenstein durch die Besinnung auf Bedeutung.
Denn Wissen kann bei näherer Betrachtung nicht den Urgrund bilden für
menschliches Streben und Innesein. Wittgenstein weist auf, wie das Denken nicht
etwa vermittelt zwischen Menschen und dem, was sie umgibt, sondern vielmehr einem
Sein oder Feld entspringt, in dem Rede und Welt beheimatet sind und in einem innigen
Verhältnis zueinander stehen – nicht wie eine Karte zu ihrem Gebiet oder ein
Bild zu dem, was es wiedergibt, sondern wie ein Hammer zum Nagel oder ein
Kunstwerk zu seinem Betrachter.
Menschen können die Welt zwar reflektieren, bewältigen, doch
„inbegriffen“ oder in ihr zu Hause sind sie nicht durch Vorsicht oder die Bilder,
welche sie sich von ihr machen. Das vergegenwärtigende Denken untermauert – nichts.
Seine Ideengebäude kommen ständig in Not und außer Mode. Dass sie an sich bedeutungsleer
sind, wird nur nicht genügend nachvollzogen, solange anstelle von ohnmächtig
gewordenen Formeln noch deren Abwesenheit – als „Nihilismus“ – regiert.
Wittgenstein liegt daran, diese Abwesenheit verschwinden zu
lassen, weil in ihr der Irrtum weiterlebt, die Welt müsse alles in allem vorstellbar
sein. Nihilismus wird witzlos, sobald sich zeigt, dass er durch die Abwesenheit
von Falschgeld charakterisiert wird. Wittgenstein lenkt unsere Aufmerksamkeit stattdessen
auf den Umlauf der wahren Währung dank jener uns alles reichenden „Lichtung“, die
Rede und Welt einbindet und von ihm ausgemacht wird in den Regelmäßigkeiten und
Possen des gewöhnlichen Lebens.
Wittgenstein will die herkömmliche Philosophie des Seienden
und seiner Berechnung ersetzen durch eine Philosophie spontaner Bedeutung und
Besinnlichkeit.
Die Philosophie der Berechnung entspringt der Auffassung,
der Mensch stehe der Welt gegenüber und bediene sich ihrer Vorstellung, um die Verhältnisse
zu deuten und handzuhaben. Wittgenstein weist nach, dass unser Sein in der Welt
nicht auf ihrer Vergegenwärtigung beruht, welche nur Abkömmling ist von etwas Durchgreifenderem,
Bedeutenderem, das Menschen und Welt zusammenfasst und unverfälscht erscheint in
Gepflogenheiten und Sprache.
Keineswegs bestritten wird die Welt als Vorstellung, nur gelangen
wir infolge solcher Vergegenwärtigung nicht zu dem, was Menschen und Sein wesenhaft
ausmacht. Dieser Irrtum wachse seit der Renaissance, meint Wittgenstein, mit
dem Gebäude der Wissenschaften, welche gegenstandslose Verfahren und
Instrumente entwickelten, um die Welt zu deuten. „Der ganzen modernen
Weltanschauung“, schreibt er in der Logisch-philosophischen
Abhandlung (auch bekannt als Tractatus), „liegt die Täuschung
zugrunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der
Naturerscheinungen seien“ (6.371).
Was die Naturgesetzte erklären, ist nicht sehr umfangreich. Wohl
liefern sie wirksame Mittel, aber keinen Zweck. „So bleiben sie bei den
Naturgesetzen als bei etwas Unantastbarem stehen, wie die älteren bei Gott und
dem Schicksal“, heißt es kritisch in der Logisch-philosophischen
Abhandlung. „Und sie haben ja beide Recht [sic!], und Unrecht [sic!]. Die
Alten sind allerdings insofern klarer, als sie einen klaren Abschluss
anerkennen, während es bei dem neuen System scheinen soll, als sei alles
erklärt“ (6.371).
Die Magie der Primitiven reklamiert nicht – wie unsere die
Welt vergegenwärtigenden Wissenschaften – die Erklärungsmacht für alles, was es
gibt und geben wird. Der Glaube an die Allmacht der Naturgesetze, das Organon
der Wissenschaften, ist so stark, dass er als absolut sicher gilt: Ihre
Handhabung verbessert das Leben der Menschheit. „Unsere Zivilisation ist durch
das Wort ‚Fortschritt‘ charakterisiert“, beklagt Wittgenstein in diesem Kontext
in seinen Vermischten Bemerkungen. „Der
Fortschritt ist ihre Form, nicht eine ihrer Eigenschaften, dass sie
fortschreitet. Sie ist typisch aufbauend. Ihre Tätigkeit ist es, ein immer
komplizierteres Gebilde zu konstruieren. Und auch die Klarheit dient doch immer
nur dem Zweck und ist nicht Selbstzweck. Mir dagegen ist die Klarheit, die
Durchsichtigkeit, Selbstzweck. Es interessiert mich nicht, ein Gebäude
aufzuführen, sondern die Grundlage aller möglichen Gebäude durchsichtig vor mit
zu haben. Mein Ziel ist also ein anderes als das der Wissenschaftler &
meine Denkbewegung von der ihrigen verschieden.“
Wenn sich der Witz der Welt erschöpft in der wissenschaftlich-physischen
Vergegenwärtigung ihrer Handhabungsmöglichkeiten, dann werden auch die Menschen
zu nichts anderem als „Kräften“, die man ausbeuten, „Dingen“, die man bewältigen
kann. Außerdem bleibt unter der Herrschaft des Fortschritts die Gegenwart
grundsätzlich zurück hinter einer vorgestellten Zukunft, welche die grausamsten
Opfer rechtfertigt.
Wissenschaft und Fortschritt schieben die Bedeutungs- oder
Sinn-Fragen der Menschheit, die immer hier und jetzt existieren, prinzipiell
auf. „Ich könnte sagen“, schreibt Wittgenstein in den Vermischten Bemerkungen, „wenn der Ort, zu dem ich gelangen will,
nur auf einer Leiter zu ersteigen wäre, gäbe ich es auf, dahin zu gelangen.
Denn dort, wo ich wirklich hin muss, dort muss ich eigentlich schon sein. Was
auf einer Leiter erreichbar ist, interessiert mich nicht.“
Die Leiter steht für Planung und Wissenschaft. Darüber
hinaus bezieht sich Wittgenstein hier auf den Hintergrund oder das Feld,
welches alles bereits einbinden muss, damit Bedeutung überhaupt stattfindet.
Die Techniken der Wissenschaft sind einer von zahllosen Abkömmlingen dieses
Grundes, welcher das Vergegenwärtigen ermöglicht, durch dessen Früchte jedoch
zugedeckt zu werden droht.
Denn die Technik steht nicht nur zu Gebote, sondern wirkt zugleich
stilbildend – in einem Maß, das wir Menschen bald oder vielleicht sogar heute
schon nicht mehr außerhalb eines Zusammenhangs zu leben verstehen, der die Kräfte
der Technik ebenso unverrückbar einbindet wie uns selbst. Unabhängig von
Wissenschaft und Planung verfügten wir über keine Existenz und deswegen auch über
keinen Halt mehr, um die modernen Verhältnisse, welche sich als Ganzes bewegen,
noch zu beeinflussen.
Dass sie sich in eine vorteilhafte Richtung bewegen, in die wir
sie sogar lenken, ist für Wittgenstein das fromme Wunschbild des Fortschritts.
Sein Philosophieren bezweckt, den akuten Verläufen durch die Kritik ihrer
inneren Voraussetzungen das Alleinrecht an Sein und Welt der Menschen zu
entziehen, damit diese wieder zum pulsenden Ursprung ihres ganzen Lebens zurückgelangen.
So lautet der notorische Schlusssatz der Logisch-philosophischen Abhandlung – Wittgenstein
bezieht sich damit auf Ethik, Ästhetik und Logik: Sinnvolle Aussagen lassen
sich nur über die Welt treffen, nicht jedoch über das, was diese erschafft oder
was in ihrem Kontext nahegelegt wird.
„Wenn etwas gut ist, so ist es auch göttlich“, schreibt
Wittgenstein in seinen Vermischten
Bemerkungen. „Damit ist seltsamerweise meine Ethik zusammengefasst. Nur das
Übernatürliche kann das Übernatürliche ausdrücken.“
Seinen Tractatus
hat er geschrieben, um dieses Übernatürliche negativ zu bestimmen: Es umfasst alles,
was insofern eine Rolle spielt, als es im Tractatus
nicht vorkommen kann. „Lass nur die Natur sprechen & über die Natur kenne
nur ein höheres [sic!], aber nicht, was die anderen denken könnten.“
Die Absicht oder Strategie des Tractatus lässt sich besser nachvollziehen, wenn man sich
ein existenzielles Feld vorstellt, das zwischen den Polen VERGEGENWÄRTIGUNG, SOLLEN
und ANMUT angesiedelt ist; die Sprache aber beschränkt sich auf den Bereich der
VERGEGENWÄRTIGUNG und kann daher weder Ethisches noch Ästhetisches betreffen.
Das gilt zumindest im Hinblick darauf, was Wittgenstein im Tractatus noch als „Sprache“ gelten
lässt. Denn sein Tractatus kann
gelesen werden als Parodie des wissenschaftlichen Weltbilds, dessen
Zurückstufung seine Philosophie im Ganzen leisten soll. Der Tractatus kennt daher nur die
logisch-wissenschaftliche „Sprache“ der Vergegenwärtigung. Wittgenstein verleiht
dem Begriff „Sprache“ später eine viel umfassendere Bedeutung, als es noch im Tractatus der Fall ist. Trotzdem ist es
hilfreich, den im Tractatus
postulierten Sprachbegriff nachzuvollziehen, da er anschaulich macht, was uns
heute bestimmt und, wie Wittgenstein findet, zu entkernen droht.
Unter „Sprache“ wird (im Tractatus)
ausschließlich die Abbildung der Wirklichkeit verstanden: Die
Sprachbestandteile sind den Gegenständen, auf die sie sich beziehen, nicht
willkürlich zugeordnet, sondern weisen Bildern gleich dieselbe innere Ordnung
auf wie das, was sie vergegenwärtigen – kraft derer sie es abbilden.
Das Sprachverständnis des Tractatus
ist immanent, indem es auf Strukturen fußt, die sich in der Materie
wiederholen.
Konkret muss man sich das wie eine Fotografie oder eine Zeichnung
vorstellen in Bezug zu dem Sachverhalt, welchen diese wiedergibt. Das Bild hat ebenso
ein materielles Substrat wie die Tatsache, welche es gegebenenfalls
bewahrheitet, indem es ihr gleich die Materie im Raum verteilt. Eine wahre
Aussage ist ein Bild, dessen Anordnung sich in der Wirklichkeit wiederholt.
Andernfalls ist sie falsch, jedoch nicht sinnlos, solange sie eine innere
Ordnung aufweist, deren Wahrwerdung vorstellbar ist.
Denken besteht laut dem Tractatus
im Anfertigen von Bildern der Wirklichkeit, die dann wahr oder falsch werden
können. Ethische Aussagen sind in einer solchen Sprache sinnlos – weil sie von
vornherein wahr sein müssten. Was jedoch nicht falsch werden kann, ist keine Vergegenwärtigung
der Welt. Andere Aussagen gibt es – zumindest in der Welt des Tractatus – nicht.
Dasselbe gilt für ästhetische Aussagen – sie sind unmöglich,
weil es die Anmut der Wirklichkeit ist, welche den Inhalt der Bilder von der
Wirklichkeit, welche das Denken verfestigt, beglaubigt oder verwirft; sie kann
nicht selber vergegenwärtigt werden.
Damit erledigt sich auch das Problem des Solipsismus – einer
der originellsten Befunde des Tractatus
zu einem der zähesten Probleme der Philosophiegeschichte: Denn das „denkende,
vorstellende, Subjekt gibt es nicht“ (Tractatus
5.631). Damit ist gemeint, dass unser Gemüt zwar voller Gedanken und
Vorstellungen ist, diese Bilder aber nicht uns, sondern vielmehr der „Vergegenwärtigung“
– als Spiegel der Wirklichkeit – angehören, und es daher nicht heißen muss „Ich
denke, also bin ich“, sondern „Denken geht vor sich, also bin ich nicht“.
Jeder Mensch wird so seinen unverwechselbaren Satz an
Bildern entwerfen und verwalten, die seine und nur seine Welt ausmachen, aber
doch über den Sinn, welcher sie formt, mit der Wirklichkeit verbunden bleiben.
Die Vergegenwärtigungssprache, welche der Tractatus beschreibt, ist jene der
Wissenschaft, und es ist das Hauptanliegen des Textes, den Leser in die Lage zu
versetzen, nachzuvollziehen, wie wenig kraft dieser Sprache gesagt werden kann,
indem sie nur Tatsachen betrifft, nicht aber deren Anmut, oder was über sie hinaus
zu tun oder zu lassen wäre.
Der Tractatus
ist einer der fabelhaftesten philosophischen Texte überhaupt, ebenso rigoros
wie witzig, vergleichbar einem aufgefächerten Koan. „Meine Sätze erläutern
dadurch“, heißt es unter 6.54, „dass sie der, welcher mich versteht, am Ende
als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen
ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr
hinaufgestiegen ist.) Er muss diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt
richtig.“
Dieses Statement beinhaltet den Wink, dass der Tractatus idealerweise als Nachahmung
herkömmlichen „Vergegenwärtigungs“-Philosophierens gelesen werden sollte,
dessen Wesen und Beschränktheit er mustergültig vor Augen führt. Zu wirklich
bedeutenden Aspekten – meist ethischer oder ästhetischer Natur – kann auf diese
planende, berechnende Weise nichts gesagt werden.
„6.4312 Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des
Menschen, das heißt also ihr ewiges Fortleben nach dem Tode, ist nicht nur auf
keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das,
was man immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch das Rätsel gelöst, dass
ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben dann nicht ebenso rätselhaft wie
das gegenwärtige? Die Lösung des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit liegt
außerhalb von Raum und Zeit. (Nicht Probleme der Naturwissenschaft sind ja zu
lösen.)“
Wittgensteins stiftet kein eigenes System der
Vergegenwärtigung, sondern hat es sich zur Aufgabe gemacht, das ultimative
Vergegenwärtigen zu verwinden: die darin liegende Vorstellung einer allem
zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeit, deren Nachvollzug den Menschen zum erfolgreichen
Verarbeiten von Gegenständen und der Welt bemächtigt. Der Metaphysiker
formuliert solche Gesetze im Allgemeinen, bevor sie vom Forscher anschließend „durchgezogen“
und zweckmäßig gemacht werden. Die Philosophie bzw. Metaphysik ist so gesehen die
Wiege der westlichen Wissenschaften und macht deren Wesen aus.
Die Methode der Vergegenwärtigung führt Wittgenstein – womöglich
spöttisch – in seinem Frühwerk vor. Der Zersetzung des darin liegenden
Alleinvertretungsanspruchs ist dann sein weiteres „Anti-Philosophieren“
gewidmet. Der Metaphysik werden die Zähne gezogen, indem die Strenge ihres
Begriffsapparats als tyrannische Überspitzung herausgestellt wird, die eher einem
Ausbeutungswillen als dem Innesein ihrer natürlichen Quellen zu verdanken ist.
Diese macht Wittgenstein ausfindig in den Läufen eines „organischen
Werdens“, das sich entsprechend seiner Umgebung in der Welt ausbildet und sich in
den Gepflogenheiten der Menschen manifestiert, die wiederum in der Wüste andere
sind als zum Beispiel im Gebirge oder im Dschungel, in der Stadt andere als auf
dem Land, im Warmen andere als im Kalten.
Im Gegensatz zu den Vergegenwärtigungen der Metaphysik und
ihres Abkömmlings, der Technik, sind die unmittelbaren Sinngehalte der Lichtung
biegsamer, wie Wittgenstein nachweist, indem er als ihr Merkmal die „Familienähnlichkeit“
anführt. Wenn etwas ursprünglich Sinn macht, dann nicht, wie Sokrates „vor
Augen führte“, aufgrund einer in allen seinen Instanzen eisern wiederkehrenden
Eigenschaft, sondern weil durch sein Zutagetreten ein Thema erklingt, gleich
dem Gegenstand eines Mosaiks, der sich erst im Zusammenkommen seiner
Bestandteile zeigt, ohne in einem von ihnen alleine enthalten oder wiederkehrend
zu sein. Wittgenstein veranschaulicht dies anhand des Spinnens eines Fadens,
bei dem „Faser an Faser“ gedreht wird. „Und die Stärke des Fadens liegt nicht
darin, dass irgend eine [sic!] Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern
darin, dass viele Fasern einander übergreifen.“
„Das Denken“, kritisiert Wittgenstein dagegen den stellenden,
planenden Gestus, „ist mit einem Nimbus umgeben. – Sein Wesen, die Logik,
stellt eine Ordnung dar, und zwar die Ordnung a priori der Welt, d. i. die
Ordnung der Möglichkeiten, die Welt und Denken gemeinsam sein muss. Diese
Ordnung aber, scheint es, muss höchst einfach sein. Sie ist vor aller
Erfahrung; muss sich durch die ganze Erfahrung hindurchziehen; ihr selbst darf
keine erfahrungsmäßige Trübe oder Unsicherheit anhaften. – Sie muss vielmehr
vom reinsten Kristall sein. Dieser Kristall aber erscheint nicht als eine
Abstraktion; sondern als etwas Konkretes, ja als das Konkreteste, gleichsam
Härteste.“
Wittgenstein hält diese Überzeugung oder Forderung für
irrig, fatal, findet aber gleichzeitig, dass man ihr einmal seine Seele
verschrieben haben muss, um danach den „Weg der Erlösung“ zu beschreiten.
Deswegen setzt jedes sinnvolle Wittgenstein-Studium ein mit dem Nachvollzug des
Tractatus. (Wittgenstein hatte
verfügt, dass dieser zusammen mit dem ihn dekonstruierenden Spätwerk veröffentlicht
werden sollte.)
Die metaphysische Einstellung ist besessen davon, das
Wirkliche zu stellen mit ihrem Begriffsapparat. Selbst Schmerzen, Vorstellungen
oder Träume werden versuchsweise anschaulich gemacht, statt sie als etwas zu
erleben, was in einem aufkommt, sich äußert und unmöglich vergegenwärtigt werden
kann.
Eines der befreiendsten Erlebnisse besteht dank
Wittgensteins Spätphilosophie in dem Aha-Erlebnis, dass es zwar ein Innesein,
aber keine innere Bühne gibt, die dessen exklusiver Schauplatz wäre – es sich
vielmehr in der Außenwelt zuträgt, die fälschlich so heißt, weil es ohne innere
auch keine äußere Bühne gibt. Wittgenstein wird oft unterstellt, er sei ein Behaviorist,
der „Inneres“ leugne: Gefühle, Träume usw. Dabei werden sie von ihm eher
befreit – aus dem fiktiven Verlies einer hermetischen Innenwelt in jenen
Beziehungsreichtum entlassen, der das Sein der Menschen untereinander in
feinster Weise mustert und dadurch bedeutsam macht. Hat man dies erst einmal begriffen,
kann man nie wieder zurückfallen in die vertricksten, Geister haschenden Mythen
herkömmlicher (metaphysischer) Psychologie.
Wittgensteins Vormarsch demonstriert, dass wissenschaftliche
Herangehensweisen wie Logik, Mathematik, Naturgesetze usw. Abkömmlinge oder „Abmagerungen“
von etwas Bedeutenderem sind, das in GRAMMATIK, LEBENSFORM und NATURGESCHICHTE
sowie im Sinnbild des SPRACHSPIELS zum Ausdruck kommt.
Die GRAMMATIK beinhaltet alle Möglichkeiten selbstverständlichen
Sprechens und wird durch sonst nichts gerechtfertigt. Sie regelt, was es mit den
Dingen auf sich haben kann, und verleiht einem so die nötige Freiheit, zu sprechen.
Zugleich ist sie wie alles Zwischenmenschliche voller Fallstricke und Anreize,
fehlzugehen, und die Aufgabe der Philosophie besteht – laut Wittgenstein – darin,
solche Verirrungen, die ihr „Rohmaterial“ bilden, aufzulösen.
Wittgensteins Spätwerk, die Philosophischen Untersuchungen, ist voll von Beispielen besinnlicher
Missverständnisse, die zum Beispiel in der Suggestion irreführender Bilder oder
Gleichnisse bestehen, die einen verführen können, etwas zu sagen, was sich
nicht sagen lässt, oder Bedeutungen zu erfinden, die es nicht gibt.
Als Beispiel seien hier – Philosophische Untersuchungen 345 zitierend – eine falsche Angabe
über den Gebrauch der Wörter „manchmal“ und „immer“ sowie die Auflösung dieses
Irrtums genannt: „,Was manchmal geschieht, könnte immer geschehen‘– was wäre
das für ein Satz? Ein ähnlicher, wie dieser: Wenn ,F(a)‘ Sinn hat, hat ‚(x).F(x)‘
Sinn. ‚Wenn es vorkommen kann, dass Einer [sic!] in einem Spiel falsch zieht,
so könnte es sein, dass alle Menschen in allen Spielen nichts als falsche Züge
machten.‘ – Wir sind also in der Versuchung, hier die Logik unsrer Ausdrücke misszuverstehen,
den Gebrauch unsrer Worte unrichtig darzustellen. Befehle werden manchmal nicht
befolgt. Wie aber würde es aussehen, wenn Befehle nie befolgt würden? Der
Begriff ‚Befehl‘ hätte seinen Zweck verloren.“
Die philosophische Untersuchung klärt hier das Verhältnis
und den richtigen Gebrauch von „manchmal“ und „immer“: Was immer geschieht,
kann nie manchmal geschehen, obwohl der Satz „Was manchmal geschieht, könnte
immer geschehen“ oberflächlich Sinn macht und damit zur (falschen)
Generalisierung von Einzelfällen verleitet.
Die Grammatik regelt das gewöhnliche Sprechen einer
Gemeinschaft mit fundamentalen Gebrauchsmustern, deren alltägliches Funktionieren
einen Sprecher trotzdem immer wieder auf Abwege bringt, ihn täuscht, ihm etwas
vormacht. Die diesbezügliche Aufgabe der Philosophie besteht nach Wittgenstein
nicht darin, irgendwelche Grundlagen oder Richtlinien nachzuliefern, sondern darin,
die normalen Möglichkeiten einer Sprache dort, wo sie verschüttgegangen sind,
wieder in den Blick zu rücken. Dies geschieht nicht durch Erklärungen, sondern
durch Beispiele, Vergleiche, Umstellungen, welche die pathologisch gewordenen
Stellen wieder beweglich oder „gesund“ machen (die Sprache wird mit anderen Worten
nicht wie ein Algorithmus oder wie eine Maschine aufgefasst, sondern wie ein
Organismus).
Das SPRACHSPIEL, in dem sich Menschen, Alltag und Sprache gegenseitig
bedingen, wird in Wittgensteins Spätphilosophie zum Ursprung der Bedeutung.
Die Verstandestätigkeit entspringt hiermit zum ersten Mal im
westlichen Denken nicht der Gegenüberstellung von Einzelnem und Gegenstand,
welche der Philosoph versucht, aufeinander zu beziehen. Wittgensteins Philosophische Untersuchungen beginnen
mit etwas, was sich bis dahin niemand als Startpunkt vorstellen konnte, und es
fällt, wenn man das Werk zum ersten Mal liest, schwer, Verständnis für etwas zu
entwickeln, das so offensichtlich zusammengesetzt ist wie das „Sprachspiel“,
als Keimzelle der Besinnlichkeit.
Doch Wittgensteins Genie besteht genau in diesem Erkennen
der dreifachen Wechselbeziehung – von Menschen, Umgebung und Sprache – als Ureinheit
der Bedeutung. Dadurch erfüllt er den Traum eines jeden Philosophen, endlich
hinauszukommen über das Subjekt-Objekt-Schema als Startpunkt des Denkens, ohne dabei
doppeldeutig werden zu müssen. Wie es möglich sein könnte, Bedeutung
schlechthin zu besichtigen, noch bevor der einzelne Mensch einer Welt
gegenübertritt, darauf war vor Wittgenstein noch niemand gekommen.
Was er unter „Sprachspiel“ versteht, veranschaulicht Wittgenstein
ab dem zweiten Paragrafen seiner Philosophischen
Untersuchungen: „Denken wir uns eine Sprache […]. Die Sprache soll der
Verständigung eines Bauenden A mit einem Gehilfen B dienen. A führt
einen Bau auf aus Bausteinen; es sind Würfel, Säulen, Platten und Balken
vorhanden. B hat ihm die Bausteine zuzureichen, und zwar nach der Reihe, wie A
sie braucht. Zu dem Zweck bedienen sie sich einer Sprache, bestehend aus den
Wörtern: ‚Würfel‘, ‚Säule‘, ‚Platte‘, ‚Balken‘. A ruft sie aus; – B bringt den
Stein, den er gelernt hat, auf diesen Ruf zu bringen. – Fasse dies als
vollständige primitive Sprache auf.“
Am wichtigsten hier: die „Vollständigkeit“, welche „aufzufassen“
einem geraten wird. „Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten,
mit denen sie verwoben ist, das ‚Sprachspiel‘ nennen“, fügt Wittgenstein
erklärend hinzu. „Das Wort ‚Sprachspiel‘ soll hier hervorheben, dass das
Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“
Weitere Sprachspiele, welche Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen anführt,
sind nicht immer der Wirklichkeit entnommen, sondern manchmal als „Vergleichsobjekte“
erfunden worden, um die Aufmerksamkeit auf wichtige Merkmale zu lenken. Als
existierende Sprachspiele zitiert er:
• Befehlen und nach Befehlen handeln
• Beschreiben eines Gegenstands nach dem Ansehen oder nach
Messungen
• Herstellen eines Gegenstands nach einer Beschreibung
(Zeichnung)
• Berichten eines Hergangs
• Über den Hergang Vermutungen anstellen
• Eine Hypothese aufstellen und prüfen
• Darstellen der Ergebnisse eines Experiments durch Tabellen
und Diagramme
• Eine Geschichte erfinden und lesen
• Theater spielen
• Reigen singen
• Rätselraten
• Einen Witz machen, erzählen
• Ein angewandtes Rechenexempel lösen
• Aus einer Sprache in die andere übersetzen
• Bitten, danken, fluchen, grüßen, beten
Es hilft, sich vorzustellen, die hier aufgelisteten
Sprachspiele seien gerade erst entstanden, spontan in die Welt getreten vor
Millionen Jahren, um zu erkennen, dass in ihnen die Keimzelle von zum Beispiel
Physik, Architektur, Geschichte, Theoriebildung oder Humor liegt.
Wie viele Sprachspiele gibt es?
Unendlich viele – neue kommen ständig in die Welt, alte
verblassen.
Sprachspiele als Teil einer Kultur sind Erweiterungen einer
noch primitiveren organischen Entwicklung, welche Wittgenstein als die
NATURGESCHICHTE der Menschen beschreibt: „Befehlen, fragen, erzählen, plauschen
gehören zu unserer Naturgeschichte so wie gehen, essen, trinken, spielen.“
Nicht alle Sprachen verwenden Wörter, einige bestehen aus Nummern – oder Gesten
– oder Tönen. Auch Bienen, Ameisen, Vögel oder Schimpansen haben ihre jeweilige
Sprache. Die menschliche Wortsprache aber ist Teil der menschlichen
Naturgeschichte, welche deswegen nicht etwa erklärt, warum wir sprechen,
sondern diesen Entwicklungsschritt eben mit sich bringt.
Von großer Bedeutung ist schließlich noch die Beziehung
zwischen Sprachspiel und LEBENSFORM, Wittgensteins Bezeichnung für das
Unbewusste, in Form des Alltags.
„Man kann sich leicht eine Sprache vorstellen“, schreibt
Wittgenstein dazu in den Philosophischen
Untersuchungen, „die nur aus Befehlen und Meldungen in der Schlacht
besteht. – Oder eine Sprache, die nur aus Fragen besteht und einem Ausdruck der
Bejahung und der Verneinung. Und unzählige Andere [sic!]. – Und eine Sprache
vorstellen heißt, sich [einen Alltag] […] vorstellen.“
Zu einer Sprache, die nur aus Befehlen und Meldungen in der
Schlacht besteht, gehört dann zum Beispiel der Alltag „Krieg“. Besteht eine
Sprache nur aus Fragen und einem Ausdruck der Bejahung oder der Verneinung, ist
sie im Alltag „Gerichtsverfahren“ anzusiedeln.
Ein Alltag besteht aus sich wiederholenden Aktivitäten, egal,
ob sie nun kultureller oder biologischer Natur sind. Sich einen menschlichen
Alltag vorzustellen, heißt, sich eine Sprache – wohlgemerkt noch kein Sprachspiel
– vorzustellen: „Das Wort ‚Sprachspiel‘ soll […] hervorheben, dass das Sprechen
der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder […] [eines Alltags] […].“
Dass sich der menschliche Alltag aus etwas sich
Wiederholendem zusammensetzt, beinhaltet unter anderem, dass gesprochen wird –
also Sprachspiele stattfinden.
Der Alltag kann nun beispielsweise jener der Geschäftswelt
sein; eines seiner Sprachspiele wäre dann die Werbung. Er könnte auch im
Bereich der Therapie verortet sein; in dem Fall wäre ein Sprachspiel die
Psychoanalyse. Im Alltag der Wahrsagerei bestünde ein Sprachspiel im Handlesen,
in einer Welt, die sich nur ums Glücksspiel dreht, hieße ein zugehöriges
Sprachspiel Lotto, usw.
Wittgenstein philosophiert immanent. Bedeutung kann demzufolge
niemals erklärt, also auf etwas Vergegenwärtigtes oder Theoretisches
zurückgeführt, sondern nur beschrieben oder erlebbar gemacht werden. Das
Besinnliche ist immer phänomenal. Es muss unmittelbar von seiner Erscheinung abgelesen
werden. Oder es leuchtet ein infolge einer Neuordnung ursprünglich verwirrender
Worte, durch kulturelles Einfühlen (im Fall fremder Rituale) oder die
Erinnerung an das, was wir normalerweise tun oder sagen.
Der Bedeutungsbereich,
welchen Wittgenstein in den vielen Tausend Seiten seines Spätwerkes impliziert,
zerfällt in die Familien ANMUT, REGEL, BRAUCH und MACHENSCHAFT.
ANMUT muss erblickt werden, um sich einstellen zu können – in
Gesichtern, Gemälden, Landschaften … „Seele“ beispielsweise ist eine Anmut
des menschlichen Körpers. Ist der betreffende Mensch traurig, ist dieser anders
„gemustert“, als wenn er fröhlich oder ärgerlich ist.
REGELN signalisieren Bedeutung, indem sie menschliches
Handeln ausrichten und dabei gleichzeitig von diesem geformt werden.
BRÄUCHE tun ihre Bedeutung in Ritualen kund (die es heute
kaum noch gibt), zum Beispiel in Form des Ausblasens der Kerzen auf dem Geburtstagskuchen,
des Weihnachtsbaums, des Fangens des Brautstraußes, des Singens der Hymne durch
die Fußballnationalmannschaft, eines Silvesterfeuerwerks, Germany’s Next
Topmodel u. Ä. m.
MACHENSCHAFTEN entfalten ihre Bedeutung in der Entwicklung
gezielter Gebilde: Vorstellungen, Bauten oder Maschinen. Wittgenstein merkt
kulturkritisch an, dass wir diesem Aspekt momentan zu viel Bedeutung beimessen.
Auf Kosten der anderen und, wie er wohl auch meint, unseres Seelenheils. „In
der Großstadt-Zivilisation“, schreibt er in seinem Nachlass, „kann sich der
Geist nur in einen Winkel drücken. Dabei ist er aber nicht etwa atavistisch und
überflüssig, sondern er schwebt über der Asche der Kultur als ewiger Zeuge –
quasi als Rächer Gottes. Als erwarte er eine neue Verkörperung (in einer neuen
Kultur).“
Als Ingenieur stand Wittgenstein den Machenschaften von Theorie
und Technik besonders skeptisch gegenüber, die für ihn wegen des universalen
Geltungsanspruchs der dahinter stehenden Wissenschaften in den Bereich der „Metaphysik“
fallen. Dabei wird die Wissenschaft nicht verkannt als Quelle echter Bedeutung,
sondern nur die Diät beklagt, auf welche sie einen setzt, indem andere
Möglichkeiten der Bedeutung zu Tode gehungert werden.
„Die Krankheit einer Zeit heilt sich durch eine Veränderung
in der Lebensweise der Menschen“, schreibt Wittgenstein in seinen Bemerkungen
zu den Grundlagen der Mathematik, „und die Krankheit der philosophischen
Probleme konnte nur durch eine veränderte Denkweise und Lebensweise geheilt
werden, nicht durch eine Medizin, die ein einzelner [sic!] erfand. Denke, dass
der Gebrauch des Wagens gewisse Krankheiten hervorruft und begünstigt und die
Menschheit von dieser Krankheit geplagt wird, bis sie sich, aus irgendwelchen
Ursachen, als Resultat irgendeiner Entwicklung, das Fahren wieder abgewöhnt.“
Wittgensteins Neuformulierung des Wesens der Individualität
dürfte, sofern sie einmal nachvollzogen wurde, mehr zur geistigen Gesundung
Europas und des Westens beitragen als sämtliche parallel vorstellbare
Psychotherapien oder ökonomische oder technische Allheilmittel. Wittgensteins
Vormarsch gibt die frischeste, unerschrockenste und gesündeste Antwort auf die
Fragen „Wer bin ich?“ und „Was ist ein Mensch?“ seit Sokrates.
Wittgensteins Spätwerk Philosophische
Untersuchen geht größtenteils auf folgende sogenannte „mentale“ Phänomene
und Begriffe ein: „verstehen“, „lesen“, „weiterwissen“, „Regelfolgen“, „Empfindung“,
„denken“, „vorstellen“ und „Vorstellungen“, „träumen“, „Ich-Bewusstheit“, „beabsichtigen“,
„wollen“ usw. Wittgensteins Auseinandersetzungen mit den entsprechenden
Sprachspielen laufen hinaus auf den Zerfall des Trugbilds einer „inneren Welt“,
aus der er das Seelenleben befreit, wodurch es echter, genießbarer wird.
Wittgenstein zersetzt die über 2.000 Jahre alte philosophische
Vorstellung, das Gemüt des Menschen sei aufgebaut nach dem (und gerechtfertigt
durch das) Vorbild der Welt äußerer Gegenstände. Seit den Zeiten des heiligen
Augustin wird eine „Innenwelt“ voller geistiger Angelegenheiten als erwiesen
erachtet; dasselbe gilt– in verweltlichter Form – für Descartes oder später für
Kant und seine „transzendentale Psychologie“.
Die „Innenwelt“ genießt ein enormes Ansehen. Die in ihren
Vergegenwärtigungen erscheinende „Geistigkeit“ macht sie sowohl philosophisch als
auch religiös interessant. Geist, der
sich eigentlich nicht vergegenständlichen lässt, bekommt Gewicht und Prestige kraft
seiner Verkörperung durch (innere) Angelegenheiten nach dem Muster wirklicher
Gegenstände, die man behandeln (sich vorknöpfen und „hinkriegen“) kann.
Verloren geht dadurch freilich, wie Wittgenstein uns zeigt, etwas unendlich
viel Wertvolleres: das lebendige, atmende Seelenleben.
Wittgenstein verdeutlicht als Erster im Hauptstrom
abendländischer Philosophie den Unterschied zwischen (unechter) Innenwelt und
(echtem) Seelenleben.
Seine Methode des Philosophierens besteht in einem
unausgesetzten Zwiegespräch mit sich selbst, in dessen Verlauf er Fragen stellt
und den Antworten, die ihm sein Inneres gibt, lauscht: „Jeden Morgen muss man
wieder durch das tote Geröll dringen, um zum lebendigen, warmen Kern zu kommen“,
schreibt er in seinen Vermischten
Bemerkungen. „Beim Philosophieren muss man ins kalte Chaos hinabsteigen und
sich dort wohl fühlen [sic!].“ Er ist mit anderen Worten kein Behaviorist, der
dem Innigen die Existenz abspricht, sondern sein Dementi betrifft allein die „innere
Bühne“ mit ihren „mentalen Gegenständen“.
Die im Verlauf von 2.000 Jahren versteinerte
Vorstellung, das „Ich“ könne seine „mentalen Inhalte“ betrachten, sich
irgendwie vorstellen, hat sich dermaßen festgesetzt, dass sie als Gemeinplatz gilt
und ihre Leugnung folglich als Mangel an Verstand betrachtet wird. Jeder
bedeutende westliche Philosoph seit Plato – und heute auch jeder Psychologe – geht
in der einen oder anderen Weise von „inneren Angelegenheiten“ des Selbst oder
Bewusstseins aus. Sie alle nehmen an, dass Vorstellungen, Gedanken, Eindrücke,
Ahnungen und dergleichen einen Standort im menschlichen Gemüt haben.
Plato, Aristoteles, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin,
William Occam und seit der Renaissance Rationalisten wie Descartes, Spinoza und
Leibnitz oder Empiriker wie Locke, Berkeley, Hume – sie alle gehen aus von „geistigen
Gegenständen“, mit denen der Mensch inwendig verkehrt und umgeht, wenn er etwas
„weiß“, „wahrnimmt“, „sich vorstellt“, „glaubt“, „denkt“ oder „beabsichtigt“.
Dass es „mentale Inhalte“ gar nicht geben könnte, ist vor Wittgenstein keinem
bedeutenden Philosophen aufgefallen. Es erscheint einfach unvorstellbar, weil die
Besinnlichkeit als Inneres, denkt man, irgendwie nötig ist, um Äußeres zu
spiegeln oder zu bestätigen, wenn man diese Trennung – zwischen innen und außen
– einmal vollzogen hat.
Indem er den selbstverständlichen Gebrauch von Wörtern wie „denken“,
„meinen“, „beabsichtigen“ usw. sorgfältig nachvollzieht, stellt Wittgenstein jedoch
heraus, dass die Grundannahme eines inneren Geschehens unnötig dualisiert – zu
dem eingebildeten Zweck einer Vermittlung zwischen innerer und äußerer Bühne,
welche nur seinsmäßig verschieden gedacht zu sein scheinen, um in fantasierter
Weise wiedervereint werden zu können.
Als Erstes ist Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen daher aus auf die Zersetzung von
Augustins oder Descartes’ „inneren Bewandtnissen“, jener sinnlosen „Doppelung“,
der zufolge wir nicht nur erfahren, fühlen oder denken, sondern auch beobachten
und somit begründen könnten, was Erfahren, Fühlen, Denken usw. im Einzelfall ausmacht.
Die pathologische „Doppelung“ resultiert nach Wittgensteins Erkenntnissen
aus einer mehrfachen Verkennung unserer alltäglichen Sprache, einem
Missverständnis von deren Grammatik, welchem Trugbilder entspringen.
Diese bringt Wittgenstein stückweise zum Verschwinden, indem
er endlich herausstellt, dass es sich bei „Denken“, „Verstehen“, „Lesen“, „Meinen“,
„Beabsichtigen“, „Glauben“ usw. nicht um von der Außenwelt abgesetzte Vorgänge
handelt. Das Tätigkeitsmerkmal „Denken“ unterscheidet sich nicht wesentlich von
zum Beispiel „Genießen“, „Trinken“ oder „Zögern“ – dasselbe gilt auch für so
vorstellungsgeladene Begriffe wie „Erinnerung“, „Wahrnehmung“ oder „Traum“. Sie
bedeuten nicht etwas dank ihrer Rolle auf einer „inneren Bühne“, sondern
verkehren, sobald es mit ihnen etwas auf sich hat, auf der gleichen Ebene wie alle
anderen menschlichen Erscheinungen.
Doch wie schlich sich das Trugbild ein?
Wir malen uns dafür zum Beispiel aus, dass, wenn wir etwas
Vernünftiges sagen, irgendein innerer Hergang vorgeschaltet sein muss, weil es
uns drängt, zu glauben, vernünftiges Sprechen könne nicht „einfach nur so“ vor
sich gehen.
Obwohl es genau das tut.
Ähnlich verhält es sich, wenn wir irgendeiner Regel folgen –
wir denken dann, dass wir diese innerlich jedes Mal erst „verstehen“ müssen, um
dann ihr entsprechend handeln zu können.
Aber wir befolgen eine Regel, wenn wir sie befolgen, „ohne Weiteres“.
(Eine Person lernt, mit zehn Fingern zu tippen. Bald gelingt
es ihr „blind“ – sie folgt der Regel, welche in der Buchstabenordnung auf der
Tastatur liegt, ohne diese dabei „vor Augen“ zu haben. Im Gegenteil, sobald sie
sich diese vergegenwärtigt, vertippt sie sich …).
Auch wenn wir jemanden wiederkennen oder identifizieren,
konsultieren wir keine „inneren Bilder“, sondern es stellt sich etwas Unvermitteltes
ein.
„Denk doch einmal gar nicht an das Verstehen als ‚seelischen
Vorgang‘! Denn das ist die Redeweise, die dich verwirrt …
In dem Sinn, in welchem es für das Verstehen
charakteristische Vorgänge (auch seelische Vorgänge) gibt, ist das Verstehen
kein seelischer Vorgang.
(Das Ab- und Zunehmen einer Schmerzempfindung, das Hören
einer Melodie, eines Satzes: seelische Vorgänge)“ (Philosophische Untersuchungen 154).
Wittgenstein liefert hier Beispiele für innere Vorgänge,
nämlich das Ab- und Zunehmen einer Schmerzempfindung, das Hören einer Melodie
usw. Im Vergleich zu diesen ist das Verstehen aber kein solcher Vorgang. Es
kann zwar seelische Vorgänge beinhalten, also etwa eine abnehmende
Schmerzempfindung oder das Hören einer Melodie, doch sie machen das Verstehen nicht
aus. Ob jemand etwas verstanden hat, ob „Verstehen vor sich ging“, erkennt man
nicht an dem, was der Person dabei „durch den Kopf“ geht, sondern daran, was sie
– für alle sichtbar – als Nächstes tut, infolgedessen eingesehen oder nicht
richtig erfasst hat.
Ähnlich ist es mit dem Denken: „,Denken‘ nennen wir wohl
manchmal, den Satz mit einem seelischen Vorgang begleiten, aber ‚Gedanke‘
nennen wir nicht jene Begleitung. – Sprich einen Satz und denke ihn; sprich ihn
mit Verständnis! – Und nun sprich ihn nicht, und tu nur das, womit du ihn beim
verständnisvollen Sprechen begleitet hast“ (Philosophische
Untersuchungen 332).
Wir neigen mit anderen Worten dazu, das, was wir sagen, für „Denken“
zu halten, weil uns dabei irgendetwas durch den Kopf geht: der „Gedanke“. Was
wir sagen, wird aber nicht durch das zum Denken, was uns dabei durch den Kopf
geht, nicht durch eine bestimmte Vorstellung, Melodie o. Ä. m. So wie
es etwa auch unmöglich ist, das Verständnis, mit welchem man einen Satz
spricht, von diesem getrennt zuwege zu bringen. Ähnlich lässt sich der
Ausdruck, mit dem man etwas sagt, also sein Ernst oder seine Leichtigkeit,
nicht davon abziehen und an sich zustande bringen, um dann eventuell „zugemischt“
zu werden. „Verständnis“, „Ernst“, „Leichtigkeit“ usw. begleiten nicht ein gesondertes
Sprechen oder Tun, ebenso wenig, wie „Denken“ mit dem, worin es sich vollzieht,
„einhergeht“. Denken hat keinen hinzutretenden, sondern "hitzigen" Charakter: Es zeigt sich zum Beispiel in der Vorsicht, Aufmerksamkeit oder
Andacht, mit der etwas gesagt oder getan wird.
„Wenn ich in der Sprache denke, so schweben mir nicht neben
dem sprachlichen Ausdruck noch ‚Bedeutungen‘ vor; sondern die Sprache selbst
ist das Vehikel des Denkens“ (Philosophische
Untersuchungen 329).
Ein anderer geistiger Begriff, die „Vorstellung“, bleibt
bedeutungslos, solange wir nur unsere eigenen Vorstellungen untersuchen. Denn
das Wesen einer Vorstellung liegt nicht in dem, was wir uns ausmalen, wenn wir
uns etwas vorstellen, sondern im Gebrauch des Wortes „Vorstellung“.
„Die Vorstellung ist nicht ein Bild, noch ist der
Gesichtseindruck eines. Weder ‚Vorstellung‘ noch ‚Eindruck‘ ist [sic!] ein
Bildbegriff, obwohl in beiden Fällen ein Zusammenhang mit einem Bild statthat,
und jedes Mal ein anderer“ (Zettel
638).
Die Alltagsverwendung des Wortes „Vorstellungen“ (der allgemein
vorgeschriebene oder erlaubte Gebrauch dieses Wortes) bestimmt, dass
Vorstellungen dem Willen unterliegen. Man kann also sich oder jemand anderen
auffordern: „Stell dir eine Wiese mit Pferden vor!“ Schon stellt sich das
entsprechende „Bild“ ein. Andererseits funktioniert die Grammatik des Wortes „Bild“
in diesem Falle nicht. Man kann zum Beispiel nicht fragen: „Wo befindet sich
die wirkliche Wiese, von der das Bild angefertigt wurde?“ Vorstellungen lassen
sich nicht wie Bilder mit dem vergleichen, was sie darstellen. Dies finden wir nicht
heraus, indem wir unsere Vorstellungen untersuchen, sondern indem wir die Alltagsverwendungen
der Worte „Vorstellung“ und „Bild“ miteinander vergleichen.
Ein weiterer – zentraler – geistiger Begriff ist der „Eindruck“.
Wir sind instinktiv der Meinung, dass Eindrücke uns etwas mitteilen, noch bevor
wir sprechen – dass es daher auch ohne Sprache bereits etwas auf sich haben
muss mit der Welt. Deswegen kommen uns Eindrücke – insbesondere über das
Gesichtsfeld – vor wie eine Art Abbild oder etwas damit Verwandtes. Es sieht so
aus, als ob es etwas gibt und wir es wortlos wahrnehmen können. Denn so kommt
es uns ja vor, wenn wir eine vertraute Umgebung erblicken: Sähen wir von den
sie beschreibenden Worten ab, meinen wir, blieben doch die Gegenstände oder
Sinneseindrücke unverändert zurück. Es stapeln sich demzufolge, spekuliert man,
in unserem Gemüt „Bilder“ vorheriger Wahrnehmungen, die dazu verwendet werden, hinzukommende
Eindrücke zu identifizieren – ob sie mit ihnen übereinstimmen oder nicht.
Eine Klärung dieses Missverständnisses im Stil Wittgensteins
könnte zum Beispiel so aussehen: Ich sage jemandem, der weiß, was Eieruhren
sind, er soll eine Eieruhr aus der Küche holen. Er tut es. Was ist dabei
geschehen? Nun, er hat meine Aufforderung gehört und die Eieruhr gebracht. Oder
hat er sich zunächst eine Eieruhr ins Gedächtnis gerufen, nachdem er meine
Aufforderung verstanden hat, und anschließend den seinem Erinnerungsbild entsprechenden
Gegenstand aus der Küche geholt? Was aber, wenn ich ihn aufgefordert hätte,
sich eine Eieruhr vorzustellen? Würden wir dann immer noch geneigt sein, zu
denken, er rufe sich eine Eieruhr ins Gedächtnis, indem er meine Aufforderung
versteht, und stelle sich dann eine weitere vor, welche dem Gedächtnisbild
entspricht?
Das Wort „Eieruhr“ ermöglicht dem Verständigen eine
Vorstellung, zu deren Identifizierung das angenommene Erinnerungsbild nicht
nötig ist. Man räumt schließlich gezwungenermaßen die Unmittelbarkeit der
Abfolge „Hören des Wortes | Vorstellung der Eieruhr“ – ohne
dazwischengeschaltetes Bild – ein.
Indem wir nachvollziehen, dass „Bild“ und „Vorstellung“
nicht dieselbe Bedeutung (Grammatik) haben, werden wir nicht mehr darauf
bestehen, meint Wittgenstein, dass „innere Bilder“ bei Vorgängen wie dem
Befolgen einer Aufforderung eine Rolle spielen müssen.
Auch „Erinnerung“ oder „Gedächtnis“ sind sprachlich, und man
muss sehen, welche Rolle sie in der Sprache spielen (dürfen), um zu verstehen,
was es mit ihnen auf sich hat. Wenn mich jemand fragt „Erinnerst du dich an
letzten Winter?“, kann ich „Ja!“ antworten, ohne dass mir dabei irgendwelche
Bilder durch den Kopf gehen müssen. Mir können freilich auch Bilder durch den
Kopf gehen, und sie können auch vom letzten Winter sein, aber sie machen das
Erinnern nicht aus. Das Spiel mit dem Wort „Erinnerung“ geht anders. Es erlaubt
mir zum Beispiel, zu sagen: „Letzter Winter – ich versuche mal, mich zu
erinnern …“ Anschließend kann ich alle möglichen Bilder in mir
heraufbeschwören, muss das aber nicht tun. In ihnen läge sowieso nicht die
Erinnerung, sondern vielmehr in meinen Worten „Jetzt erinnere ich mich, dass …“
sowie in den Worten, die darauf folgen. Eine Erinnerung besteht somit in den
Worten, welche auf „Ich erinnere mich, dass …“ folgen. Begleitende oder
konsultierte Bilder können die Erinnerung illustrieren, aber nicht begründen.
Worin bestünde dann aber – in Ermangelung eines „inneren
Bereichs“ – das menschliche Selbst? Mein Ich?
Wittgenstein war ein sehr privater Mann, entwickelte seine
Philosophie im Rahmen eines „inneren Zwiegesprächs“ und zog keinesfalls das
Gesellschaftliche dem Individuellen vor. Seine Philosophie stellt, wenn überhaupt,
das „Kultivierte“ über das „Gemeine“ oder das Althergebrachte über das „Gedeichselte“,
von oben oder außen Aufgezwungene. Trotzdem sprach er dem menschlichen Selbst
die Identität ab. Innere Zustände oder Vorgänge, die exklusiv und daher
kennzeichnend für ein bestimmtes Ich sind, spielen keine Rolle und sind folglich
bedeutungslos. Den Nachweis führt Wittgenstein in seinem „Privatsprachen-Argument“,
der Paradenummer seiner Spätphilosophie.
Dieser Nachweise funktioniert ungefähr so: Sprachliche Sätze
schaffen etwas Bedeutendes nur unter der Voraussetzung, dass sie auch unwahr
sein könnten. Andernfalls wäre jeder Satz wahr, auch solche, die sich widersprechen.
Damit aber Sätze sowohl wahr als auch falsch sein können, müssen sie einen
autonomen Sinn haben, welchen sie an die Wirklichkeit herantragen, die ihn dann
verifiziert (wahrer Satz) oder falsifiziert (falscher Satz). Einen solchen Sinn
jedoch bringt nicht ein Mensch allein zustande, er entsteht vielmehr in den
Sprachspielen einer menschlichen Gemeinschaft. Insofern verfügt ein Mensch über
keine sinnvolle Sprache, die ihm alleine dient, und ist infolgedessen nahtlos ein
Bestandteil seiner „sprechenden Umgebung“, selbst indem er Zahnschmerzen hat –
ein Beispiel, welches Wittgenstein öfters anführt.
Beispielsweise könnte eine Person jedes Mal, wenn sie
Zahnschmerzen hat, ein selbst erfundenes Zeichen in ein Buch schreiben, das
sonst niemand zu sehen bekommt. Schon bald aber wird die Person dann nicht mehr
in der Lage sein, anhand ihrer Aufzeichnungen festzustellen, ob die Schmerzen,
welche sie an diesem Morgen hat, dieselben sind wie jene, die sie vor drei Tagen
plagten. Das eigene Gedächtnis reicht nicht aus, um solche Urteile zu fällen.
Ein die Öffentlichkeit ausschließender Bezug zum eigenen Gemüt ist daher bedeutungslos.
Etwas anderes wäre es, wenn die Person das Ausmaß ihrer Schmerzen zum Beispiel
mit Ziffern bewertete: „1“ für „gering“, „5“ für „mittel“ usw. Die Zahlen wären
aussagekräftig, weil sie nicht mehr allein der Person gehören, sondern die
Öffentlichkeit, in welcher sie als Angaben einer Intensität gelten, ins Spiel bringen
und damit eine Bedeutung erlangen.
Natürlich kann man Bücher in Geheimschrift verfassen – solange
sich diese übersetzen lässt. Ist sie aber prinzipiell unübersetzbar, nur zu
verstehen von einer einzigen Person, sagt sie auch dieser nichts, weil sich ein
Mensch „nicht selber die Hand schütteln“ kann.
Hieraus folgt, dass es keine „privaten Gegenstände“ gibt. Selbst
unsere geheimsten Gedanken, Absichten oder Träume – unsere Zahnschmerzen – sind
prinzipiell „öffentlich“. Das Individuum des Kapitalismus oder der
Wissenschaften ist eine leere Hülle.
Das Käfergleichnis, welches Wittgenstein dafür in den Philosophischen Untersuchungen findet,
hat mindestens die Wucht von Platos Höhlengleichnis, manche halten es aber
sogar für noch bedeutender:
„Angenommen, es hätte Jeder [sic!] eine Schachtel, darin
wäre etwas, was wir ‚Käfer‘ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern
[sic!] schaun; und Jeder [sic!] sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers,
was ein Käfer ist. – Da könnte es ja sein, dass Jeder [sic!] ein anderes Ding
in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, dass sich ein
solches Ding fortwährend veränderte. – Aber wenn nun das Wort ‚Käfer‘ dieser
Leute doch einen Gebrauch hätte? – So wäre er nicht der der Bezeichnung eines
Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch
nicht einmal als ein Etwas: denn die Schachtel könnte auch leer sein. – Nein,
durch dieses Ding in der Schachtel kann ‚gekürzt werden‘; es hebt sich weg, was
immer es ist.
Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der
Empfindung nach dem Muster von ‚Gegenstand und Bezeichnung‘ konstruiert, dann
fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus“ (Philosophische Untersuchungen 293).
Ein „Ausdruck der Empfindung“, um dessen Grammatik es hier
geht, wäre zum Beispiel „Jubel“ oder „Schmerz“. Haben Schmerzen einen „inneren Gegenstand“,
der ihnen Inhalt verleiht – den sie „bedeuten“? Dieser gliche dann dem Käfer in
Wittgensteins Gleichnis, den niemand außer seinem Besitzer sehen kann. Ist
folglich unter Menschen von „Schmerzen“ die Rede, kann dieses Wort, wenn es denn
eine Bedeutung hat, diese nicht durch einen „Gegenstand“ erhalten, den sonst
niemand zu Gesicht bekommt.
„,Ja, aber es ist doch da ein Etwas, was meinen Ausruf des
Schmerzes begleitet! Und um dessentwillen ich ihn mache. Und dieses Etwas ist
das, was wichtig ist, – und schrecklich.‘ – Wem teilen wir das nur mit? Und bei
welcher Gelegenheit? – Freilich, wenn das Wasser im Topf kocht, so steigt der
Dampf aus dem Topf und auch das Bild des Dampfes aus dem Bild des Topfes. Aber
wie, wenn man sagen wollte, im Bild des Topfes müsse auch etwas kochen?“, heißt
es zu dem Thema in den Philosophischen
Untersuchungen 296-7.
Es sieht auf den ersten Blick so aus, als ob die Schmerzen
(das Kochen) nicht weiter wichtig seien in dem Bild, welches wir uns von ihnen
machen, zum Beispiel als Arzt. Der Dampf in der (sprachlichen) Wiedergabe des
Topfes versinnbildlicht hier die Charakterisierung eines Schmerzes durch den
Empfindenden, indem er zum Beispiel dessen Sitz in bestimmten Stellen seines
Körpers angibt. Diese Fähigkeit, Schmerzen zu lokalisieren und in gewissem Maß zu
beschreiben (als „dumpf“, „stechend“, „flimmernd“ u. Ä. m.), verleitet
uns zu der Vorstellung, bei diesen handle es sich um unseren „Privatbesitz“.
Aber dergleichen gibt es nicht.
„,Aber du wirst doch zugeben, dass ein Unterschied ist
zwischen Schmerzbenehmen mit Schmerzen und Schmerzbenehmen ohne Schmerzen.‘ – Zugeben?
Welcher Unterschied könnte größer sein! – ‚Und doch gelangst du immer wieder
zum Ergebnis, die Empfindung selbst sei ein Nichts.‘ – Nicht doch. Sie ist kein
Etwas, aber auch nicht ein Nichts! Das Ergebnis war nur, dass ein Nichts die
gleichen Dienste täte wie ein Etwas, worüber sich nichts aussagen lässt. Wir
verwarfen nur die Grammatik, die sich uns hier aufdrängen will“ (Philosophische Untersuchungen 305).
Wir haben als Menschen die Neigung, alles, dem wir uns
widmen, zu vergegenständlichen. Es erhält, indem wir es uns vergegenwärtigen, eine
Art Körper, wenn keinen sichtbaren, dann einen unsichtbaren. So ist es aber
nicht immer richtig, denn es gibt – wie zum Beispiel im Fall von Schmerzen – Lebensäußerungen,
welche nur ausgedrückt, nicht aber „in die Enge getrieben“ und gestellt werden
können. Wenn wir Kindern das Wort „Schmerz“ beibringen, dann nicht wie ein
Namensschildchen, das einer Sache umgehängt werden kann wie im Fall von „Apfel“
oder „Bleistift“, sondern indem sie zum Beispiel lernen, es statt „Aua“ zu
verwenden, den Schrei gewissermaßen ersetzend.
Um jemanden zu verstehen, der Schmerzen äußert, muss ich mir
diese nicht vergegenwärtigen, sondern seine Signale richtig deuten. In der
Grammatik des Wortes „Schmerz“ liegt nicht die Beschreibung eines (inneren)
Gegenstands, sondern die Anbahnung von Hilfsmaßnahmen. Besinnlich und unverborgen
wird Schmerz zum Auslöser und Lenker eines mitmenschlichen Verhaltens. Indem
wir Schmerzen äußern, teilen wir niemandem mit, was wir „haben“ (oder „sind“),
sondern leiten einen zwischenmenschlichen Vorgang ein.
Schmerz steht in den philosophischen Untersuchungen
Wittgensteins ein für alles „Mentale“. In welchem zwischenmenschliche „Muster“ liegen,
welches die Sprache zum Gebrauch von allen, die an ihrer Gemeinschaft
teilhaben, verwaltet. Das gilt sogar für Träume, die wir nicht privat, sondern „für
alle“ haben, wie aus alten Texten (Homer, Gilgamesch, klassische chinesische
Romane) hervorgeht.
Mit der „inneren Bedeutungsquelle“ voller mentaler
Gegenstände wurde laut Wittgenstein ein geisterhafter Zusammenhang fantasiert,
entsprechend dem unterstellten „Wesen“ äußerer Materie, ob es sich bei diesem
nun im frühen Mittelalter noch um ein Gefüge vorgestellter „Formen“ handelt
oder in der heutigen Wissenschaft um Kräfte, Felder und Partikel. Die absolute
wissenschaftliche Objektivität spiegelt sich in dem ihr gegenüber verharrenden
isolierten, hermetisch verriegelten Subjekt. Beide sind Kehrseiten einer Geisteshaltung,
die Wittgenstein zersetzen möchte.
Die kulturellen Erweiterungen seines neuen Selbstbegriffs
wären nachhaltig. Jenseits des einsamen, habgierigen, ängstlichen, total privatisieren
Individuums, mit dem wir heute leben und dessen einzige Wirklichkeit in der
Macht besteht, sich „zu entfalten“, taucht eine Gelegenheit auf, dem Menschsein
tiefere Bedeutung zu verleihen oder diese wiederzuentdecken.
„Man kann einen alten Stil gleichsam in einer neuen Sprache
wiedergeben; ihn sozusagen neuaufführen [sic!] in einer Weise, die unserer Zeit
gemäß ist. Man ist dann eigentlich nur reproduktiv. Das habe ich beim Bauen
getan. – Was ich meine, ist aber nicht ein neues Zurechtstutzen eines alten
Stils. Man nimmt nicht die alten Formen & richtet sie dem neuen Geschmack
entsprechend her. Sondern man spricht, vielleicht unbewusst, wirklich die alte
Sprache, spricht sie aber in einer Art und Weise, die der neuern Welt, darum
aber nicht notwendigerweise ihrem Geschmacke, angehört“ (Vermischte Bemerkungen).
„Zur Verständigung durch die Sprache gehört nicht nur eine
Übereinstimmung in den Definitionen, sondern (so seltsam dies klingen mag) eine
Übereinstimmung in den Urteilen“, schreibt Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen 242. Und
Davila ergänzt mit dem Aphorismus „Wenn der Dialog der letzte Ausweg ist, ist
die Situation nicht mehr zu retten“. Es ist immer eine grundsätzliche
Übereinstimmung vonnöten, um ins Gespräch zu kommen, und diese wird nicht
hergestellt durch Argumente, sondern ein verlockendes Bedeutungs-, d. h.
Gemeinschaftsangebot.
Wittgenstein wurde schnell mehr von Künstlern geschätzt als
von Philosophen, denen er die Rundumerklärung untersagte. Ingeborg Bachmann,
Thomas Bernhard, Peter Handke, alles Wittgensteinianer – ebenso wie der US-Amerikaner
David Foster Wallace, der eine vielversprechende Karriere als Mathematiker aufgab,
um Schriftsteller zu werden. Der Filmemacher Terrence Malick, vom Studium her ein
Philosoph, hat seine Doktorarbeit zwar nicht fertiggestellt, sie beschäftigte
sich aber mit Wittgenstein und Heidegger.
Was Künstler anspricht, ist Wittgensteins Unmittelbarkeit im
Hinblick auf Bedeutung, deren Urzelle, das Sprachspiel, eine anschauliche,
dramatische Einheit darstellt. Bedeutung kann ursprünglich nicht erklärt, nur
erlebt werden. Die Erklärung wird erst später eine Eigenschaft des „metaphysischen
Sprachspiels“, welches Theorien entwickelt, um sich die Wirklichkeit zu
vergegenwärtigen. Daraus wiederum haben sich die Wissenschaften entwickelt, die
heute alles beherrschen.
Andere Bedeutungsquellen gerieten dadurch ins Hintertreffen,
zum Beispiel Sprachspiele, die kaum mehr vorkommen oder nur noch in nicht ernst
genommener Form, aber insbesondere für Künstler von Interesse sind wie beispielsweise
alles Rituelle.
Das Ritual ist uns so fremd geworden, dass wir seinen Wert
als Quelle tiefer Bedeutung zunehmend verkennen. Wenngleich wir ihm, wo es
heute noch vorkommt, unbedingt Folge leisten. Beispiele sind das Ausblasen der Kerzen
auf dem Geburtstagskuchen, die Schiffstaufe, das Feuerwerk zum Neujahr, der Cirque
de Soleil oder Hochzeitsfeierlichkeiten. Oder DJ Bobo, der weder singen noch
tanzen kann, aber einen begnadeten Sinn für rituelle Verläufe hat und dabei
mehr Weihrauch einsetzt als so mancher Missionar. Sein Publikum geht nach dem Erlebnis
seiner Shows tief befriedigt nach Hause.
Wittgenstein arbeitet die Bedeutungsquelle des Rituellen
heraus in seinen Bemerkungen über Frazers Golden Bough, eine Vergleichsstudie
über Mythologie und Religion des schottischen Anthropologen James George Frazer,
in welcher dieser zu dem Schluss kommt, dass sich der menschliche Geist von
Magie über Religion zur Wissenschaft entwickelt.
Frazer beurteilt die Rituale der Primitiven als
vorwissenschaftlich, beruhend auf einem falschen Verständnis der Welt, und
huldigt damit dem Mythos der archaischen Dummheit. Alle unsere Vorfahren, insbesondere
aber die, welche nichts Wissenschaftliches hervorbrachten, werden als
intellektuell minderwertig betrachtet. Sie waren so dumm, dass die dachten, es
durch Tanzen regnen lassen zu können. Damit wird ihnen jene kausale
Besessenheit unterstellt, die uns heute beherrscht und in deren Rahmen
Tätigkeiten nur als sinnvoll erachtet werden, wenn sie auch etwas bewirken.
Doch dieses Urteil gleicht jenem, das jemand fällen könnte,
der uns beim Abfeuern von Neujahrsraketen beobachtet und sagt: „Sie denken,
wenn sie keine Raketen verschießen, bleibt das neue Jahr aus.“
Die Neigung, alles zu erklären, also in einer Theorie zu
verankern, anstatt es wörtlich zu nehmen, ist Ausdruck der Krankheit unserer
Zeit, die grobe, närrische Resultate hervorbringt, wenn ihre Deutungsmuster auf
primitive Bräuche angewandt werden.
„Seine Erklärungen der primitiven Gebräuche“, schreibt
Wittgenstein über Frazer, „sind viel roher als der Sinn dieser Gebräuche
selbst.“
Wittgenstein erinnert uns daran, dass wir den Sinn
primitiver Gebräuche durchaus verstehen können, weil das, was sie ursprünglich
aufkommen ließ, in uns weiterlebt und nicht erklärt werden muss.
Frazer beschreibt und erklärt zum Beispiel ausgiebig den
Brauch des Tötens des „Waldkönigs von Nemi“. Dazu Wittgenstein: „Und die Erklärung
ist es hier gar nicht, die befriedigt. Wenn Frazer anfängt und uns die
Geschichte von dem Waldkönig von Nemi erzählt, so tut er dies in einem Ton, der
zeigt, dass hier etwas Merkwürdiges und Furchtbares geschieht. Die Frage aber ‚Warum
geschieht dies?‘ wird eigentlich dadurch beantwortet: Weil es furchtbar ist.
Das heißt, was uns bei diesem Vorgang furchtbar, großartig, schaurig, tragisch
etc., nichts weniger als trivial und bedeutungslos vorkommt, das hat diesen
Vorgang ins Leben gerufen.“ Frazers „Erklärung ist im Vergleich mit dem
Eindruck, den uns das Beschriebene macht, zu unsicher.“
Was einen an dem Brauch beeindruckt, meint Wittgenstein, ist
weniger Frazers Erklärung (die Primitiven würden nicht davor zurückschrecken,
die Natur mit „jedem erdenklichen Mittel“ zu beeinflussen) als das Gefühl der „Majestät
des Todes“, welches wir mit den Betroffenen teilen.
„Wenn man mit einer Erzählung vom Priesterkönig von Nemi das
Wort ‚die Majestät des Todes‘ zusammenstellt, so sieht man, dass die beiden eins
sind.
Das Leben des Priesterkönigs stellt das dar, was mit jenem
Wort gemeint ist.
Wer von der Majestät des Todes ergriffen ist, kann dies
durch so ein Leben zum Ausdruck bringen. – Dies ist natürlich auch keine
Erklärung, sondern setzt nur ein Symbol für ein andres. Oder: eine Zeremonie
für eine andere.“
Dies ist die Weise, wie wir Rituale verstehen: Wir halten
eine uns bekannte Zeremonie neben eine noch unbekannte, um so deren Wesen zu begreifen.
Wenn wir bekannte Symbole, zum Beispiel den Sensenmann oder einen Totenkopf mit
einer Krone – in einen Zusammenhang mit der Ermordung des Priesterkönigs von Nemi
stellen, helfen sie uns beim Verständnis dieses Rituals.
Rituale dienen weder der Erkenntnis noch einem Zweck. Sie
führen nichts im Schilde. Wenn ich die Kerzen auf meinem Geburtstagskuchen
ausblase, will ich damit keine weiteren Ereignisse beeinflussen. Wir handeln
auf eine bestimmte Weise – und sind damit zufrieden.
„[…] das Prinzip, nach dem diese Gebräuche geordnet sind,
ist ein viel allgemeineres […] und in unserer eigenen Seele vorhanden, so dass
wir uns alle Möglichkeiten selbst ausdenken könnten.“
Rituale: Bundeswehr (Fahneneid), Modenschau, Rockkonzerte,
Fußballnationalmannschaft (Hymne), Preisverleihungen, Hochzeit, Beerdigung, Festessen.
Das Ritual bindet im Gegensatz zur Unterhaltung alle
Anwesenden ein. Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob man eine Dommesse
als Zuhörer oder Gläubiger besucht. Letztere, so Wittgenstein, unterscheiden
sich von Ersteren, indem ihr ganzes Leben von der Religion durchdrungen ist.
Wer die Bibel als Literatur konsumiert, erfährt etwas anderes als ein
Gläubiger, der darin liest.
„Unsere Seele will anders als der Verstand ‚erlöst‘ werden,
und wem dies zuteilwurde (Wittgenstein selber wohl während des Ersten
Weltkriegs), ist danach nicht mehr in der Lage, von Herzen zu zweifeln. ‚...sei
erst erlöst & halte an Deiner Erlösung (halte Deine Erlösung) fest – dann
wirst Du sehen, dass Du an diesem Glauben festhältst. Das kann also nur
geschehen, wenn Du dich nicht mehr auf diese Erde stützt, sondern am Himmel
hängst. Dann ist alles anders und es ist ‚kein Wunder‘, wenn Du dann kannst,
was Du jetzt nicht kannst. (Anzusehen ist freilich der Hängende wie der
Stehende aber das Kräftespiel in ihm ist ja ein ganz anderes & er kann
daher ganz anderes tun als der Stehende.)“
Wittgenstein begann ursprünglich zu philosophieren, um das
Wesen der Mathematik zu erhellen, und seinen Befunden zufolge beruht sie auf
den von allen geteilten Gewohnheiten einer größeren Gemeinschaft.
Rituale sind in diesem Sinne „mathematische Formationen“
oder „Verläufe“, möglichst elegant und mühelos.
Die Rituale als Sinneinheiten unserer Gesellschaft wären
das, in was sich Zuwanderer integrieren ließen.
Es könnten zu diesem Zweck eigene (neue) Rituale gestiftet
werden – wenn der Wert solcher „Keimzellen der Bedeutung“ erkannt würde.
Wittgenstein möchte den Ausdruck „Ich weiß“ für Fälle
reservieren, „in denen er im normalen Sprachverkehr gebraucht wird“ – weil, wie
er in Über die Sicherheit 482
schreibt, „das ‚Ich weiß‘ keine metaphysische Betonung verträgt.“
Unter „metaphysisch“ versteht er, wie gesagt, „strenge Gewissheit“.
Das Sprachspiel mit dem Wort „wissen“ aber sieht keine Superwahrheiten vor. Sie
klingen entweder sinnlos („Ich weiß, dass es eine Welt gibt!“) oder lächerlich
beziehungsweise komisch („Ich weiß, dass meine Hände an meinem Unterarm
befestigt sind“).
Echtes Wissen ruht in selbstverständlichen Gegebenheiten und
kommt in praktischen Sätzen zum Ausdruck wie „Wenn ich mein Auto vor dem
Werkstattbesuch wasche, wird es geflissentlicher repariert“ oder „Es wird
leichter etwas vergeben als erlaubt“. Es ist die Frucht von gemeinsamem Handeln
sowie dessen Ergebnissen.
Wittgenstein benutzt zur Veranschaulichung das Sinnbild
eines Flusses, dessen Bett dem Wasser in ihm Form und Richtung gibt, von diesem
aber auch unentwegt verändert wird. Das Bett stellt unseren „Wissensgrund“ dar,
der unser Tun (das Wasser) führt sowie von ihm verändert wird.
Ohne Fluss kein Bett, ohne Tun kein Wissen. Nach
Wittgensteins Beobachtungen entsteht das Besinnliche nicht durch Nachdenken,
sondern durch Handeln – im Sprachspiel, welches ein mehrere Größen einbindender
Verlauf ist. Ohne Teilnahme keine Bedeutung, kein Wissen.
Nur das zwischenmenschliche Handeln schöpft und erhält echte
Bedeutung. Es unterschiedet sich von Verhalten, indem es von seinen Gründen,
nicht den Ursachen her erfasst wird. (Gründe beziehen sich auf das „Ufer“,
Ursachen liegen rein „im Fluss“, sind – im Gegensatz zu den Gründen – endlos.)
Handlungen haben im Gegensatz zu Ursachen keine Geschichte,
kein „Volumen“, wie Wittgenstein sich ausdrückt.
„Tun scheint selbst kein Volumen der Erfahrung zu haben. Es
scheint wie ein ausdehnungsloser Punkt, die Spitze einer Nadel. Diese Spitze
scheint das eigentliche Agens. Und das Geschehen in der Erscheinung nur Folge
dieses Tuns. ‚Ich tue‘ scheint einen bestimmten Sinn zu haben, abgelöst von
jeder Erfahrung“ (Philosophische
Untersuchungen 620).
Wir agieren, wenn wir etwas tun, das den Namen Handlung
verdient, spontan. Es gibt nichts, was einer Handlung vorausgeht und ihr angehört,
indem es sie zum Beispiel auslöst. Insbesondere nicht unser Wille. Im Willen
lebt unsere Fähigkeit, nicht aber der Anstoß, zu handeln.
Handlungen sind begründet und können infolgedessen
gerechtfertigt werden, Verhalten dagegen ist verursacht. Man fragt einen
Menschen nicht nach den Ursachen seines Handelns, sondern nach den Gründen.
Welche er angeben können muss, um sein Tun als Handeln zu identifizieren.
Ursachen werden dagegen nicht erfragt, sondern beobachtet – als Ereignisse, die
einem bestimmten Tun immer wieder vorangehen.
Es wird von einem Menschen erwartet, dass er die Gründe
seines Handelns angeben kann – die Ursachen seines Verhaltens muss er hingegen nicht
kennen. Gründe können vorgeschoben oder angezweifelt werden, Ursachen nicht.
In Gründen äußert sich das in einer Handlung anwesende „Ufer“:
das nicht hinterfragte „Wissen“ einer Gemeinschaft. Gründe sind insofern nichts
Persönliches, keine Ausgeburten desjenigen, der sie hat, sondern etwas
Allgemeingültiges, von ihm unabhängig Geltendes, das er für sein Handeln in
Anspruch nimmt. Handeln unterliegt immer der öffentlichen Kritik, muss
gerechtfertigt werden können.
Handeln ist – insofern – konventionell: indem es
Konventionen entweder genügt oder diese sogar stiftet (Formung des Ufers durch
den Fluss).
Die Urhandlung, Quelle jeglicher Bedeutung, aber ist das
Sprachspiel, das, „was jenseits von berechtigt und unberechtigt liegt […] gleichsam
[…] etwas Animalisches“.
Bedeutung lebt in den Mustern einer „animalischen“
Regelmäßigkeit, die Vertrautheit erzeugt, ohne deswegen zu erstarren. Der Fluss
bewegt sein Bett.
Die Einheit von Fluss, Bett und der Bewegung der beiden bildet
unser Bewusstsein, welches infolgedessen eine Funktion seiner Umgebung, von „Welt,
Klima und Schwerkraft“ ist. Auf die Bemerkung eines seiner Studenten, er wolle
nicht wieder in der Steinzeit leben, erwiderte Wittgenstein, ein
Steinzeitmensch würde wohl nicht anders empfinden, nur umgekehrt, wenn er in
unserer Mitte landen sollte.
In seiner Notizensammlung Über die Gewissheit beschäftigt sich Wittgenstein mit der Frage des
Wissens. Macht es Sinn, zu sagen, man „wisse“ Sachen, die zum „Ufer“ gehören, die
unserer Lebenswelt und dem Denken in ihr die Form verleihen?
Jemand sagt zum Beispiel, er „wisse“, dass die Erde sich um
ihre Achse drehe oder rund und keine Scheibe sei, oder er sei sich ganz sicher,
zwei Augen im Kopf zu haben. Klingt irgendwie komisch.
„Wenn ich sage ‚Wir nehmen an, dass die Erde schon viele
Jahre existiert habe‘ (oder dergl.), so klingt es freilich sonderbar, dass wir
so etwas annehmen sollten. Aber im ganzen System unsrer Sprachspiele gehört es
zum Fundament. Die Annahme, kann man sagen, bildet die Grundlage des Handelns
und so natürlich auch des Denkens“ (Über
die Gewissheit 411).
Wir können nicht das, was unser Denken instand setzt, zu
dessen Gegenstand machen.
„Das, worauf ich abziele, liegt auch in dem Unterschied
zwischen der beiläufigen Feststellung ‚Ich weiß, dass das …‘, wie sie im
gewöhnlichen Leben gebraucht wird, und dieser Äußerung, wenn der Philosoph sie
macht“ (Über die Gewissheit 406).
Der „Philosoph“, befürchtet Wittgenstein, gebraucht „Ich
weiß“ anders als der normale Mensch – und bringt infolgedessen unseren Verstand
durcheinander, indem er etwa Sätze sagt wie „Ich weiß, dass die Welt seit
mindestens 2.000 Jahren existiert“ oder „Ich weiß, dass die Vergangenheit
nicht nur Erinnerung, sondern wirklich ist“ usw.
„Ist es aber eine genügende Antwort auf die Skepsis der
Idealisten oder die Versicherungen der Realisten: ‚Es gibt physikalische
Gegenstände‘, dass es Unsinn ist? Für sie ist es doch nicht Unsinn. Eine
Antwort wäre aber: diese Behauptung, oder ihr Gegenteil, sei ein fehlgegangener
Versuch, (etwas) auszudrücken, was so nicht auszudrücken ist. Und dass er
fehlgeht, lässt sich zeigen; damit ist aber ihre Sache noch nicht erledigt. Man
muss eben zur Einsicht kommen, dass das, was sich uns als erster Ausdruck einer
Schwierigkeit oder ihrer Beantwortung anbietet, noch ein ganz falscher Ausdruck
sein mag. So wie der, welcher ein Bild mit Recht tadelt, zuerst oft da den
Tadel anbringen wird, wo er nicht hingehört, und es eine Untersuchung braucht,
um den richtigen Angriffspunkt des Tadels zu finden“ (Über die Gewissheit 37).
Ein Wissensanspruch versucht immer, dem Zweifel, es könne
sich auch andersherum verhalten, zu begegnen (die Welt könne also „nicht
existieren“, wenn ich zu wissen vorgebe, dass sie es tue). Aber macht ein
Zweifel immer Sinn?
Von dem, was für uns feststeht, können wir nicht sagen, wir
wüssten es. Denn das Feststehende „gehört zur Methode unseres Zweifelns und
Untersuchens“. Ein Zweifel muss immer einen Inhalt haben, dessen Bestehen er infrage
stellt. Die Möglichkeit dieses Inhalts kann er nicht auch noch anzweifeln, ohne
leer, also sinnlos zu sein.
Von „Wissen“ kann man nur reden, wo auch „Irren“ möglich ist
– und umgekehrt. Wenn ich Sydney für die Hauptstadt Australiens halte, ist dies
ein Irrtum im Schatten des Wissens, dass es tatsächlich Canberra ist. Wenn ich
hingegen glaube, dass die Welt nicht existiert, ist dies kein Irrtum im
Schatten des Wissens, dass es sie gibt, sondern ein Merkmal meines Wahnsinns.
Das, worin wir uns nicht irren können, ohne dass unsere Welt
sich auflöst, kann auch nicht gewusst werden – vielmehr sind wir uns seiner
sicher.
Einen Wissensanspruch geltend zu machen gegenüber dem, was
feststeht, verleiht diesem keine größere Gewissheit, sondern den falschen
Schein derselben. Freilich kann, was normal erscheint, verschwinden – infolge
von zum Beispiel Wahnsinn, Drogen, Täuschung, Geistesstörung, unerhörten
Ereignissen, Verwirrung, Blindheit oder „geistiger Wiedergeburt“. Das stellt
aber nicht die Hinlänglichkeit seines Gegebenseins infrage, welches wir weder „wissen“
noch „bezweifeln“ können, weil es diese Operationen überhaupt erst ermöglicht.
So gibt es kein „Superwissen“ über die Welt, nur einen
vertrauten, fließenden Verkehr der Menschen untereinander sowie mit den Dingen
ihrer Umgebung.
Im Kielwasser Wittgensteins stellt sich jede Form
überweltlicher Gewissheit – ob sie sich in Ideologien zeigt, im
wissenschaftlichen Vormarsch oder in der Mathematik (zu deren Fanatismus
Wittgenstein das unerschrockenste Verhältnis hat) – als Trug heraus. Sein
Feingespür, dass wir in puncto Gewissheit nie über diejenige unserer normalen
Sprachspiele hinauskommen, unterhöhlt die Superrealitäten der Wissenschaft ebenso
wie diejenigen des ihr nacheifernden ideologischen Gegenübers.
Die gottähnliche Sicherheit des kartesianischen Subjekts ist
übergegangen in die Wissenschaften, welche inzwischen bestrebt sind, unseren
Alltag unbewusst immer mehr ihren Algorithmen anzugleichen.
Die organische oder normale Gewissheit im Sinn Wittgensteins
ist eine Handlungskategorie, die Bedeutung schöpft im unbedachten Tun und
Denken unseres Alltags, welcher sie rechtfertigt, ohne selber gerechtfertigt
werden zu können. Man kann sich höchstens einen anderen einhandeln. Er liefert
das menschliche Maß an Normalität, das weiterlebt, auch wenn alles ringsum
zusammenbricht oder erstarrt, und dann hinarbeitet auf dessen
Wiederauferstehung.
Die Quelle jeglicher Bedeutung und echter Besonderheit liegt
für Wittgenstein in der Normalität.
„Die für uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre
Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen“, schreibt Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen. „(Man
kann es nicht bemerken, – weil man es immer vor Augen hat.) Die eigentlichen
Grundlagen seiner Forschung fallen dem Menschen gar nicht auf. Es sei denn, dass
ihm dies einmal aufgefallen ist. – Und das heißt: das, was, einmal gesehen, das
Auffallendste und Stärkste ist, fällt uns nicht auf.“
In den Vermischten
Bemerkungen fügt er hinzu: „Ich könnte sagen, wenn der Ort, zu dem ich
gelangen will, nur auf einer Leiter zu ersteigen wäre, gäbe ich es auf, dahin
zu gelangen. Denn dort, wo ich wirklich hin muss, dort muss ich eigentlich
schon sein. Was auf einer Leiter erreichbar ist, interessiert mich nicht.“
Damit soll gesagt sein, dass die Quelle tiefer Bedeutung im Unbewussten
oder im Alltag liegt, in unserer normalen, eingespielten, unmittelbaren
Umgebung (inklusive deren Wesen und deren Möglichkeiten) sowie in der Sprache, in
welcher sie sich vollzieht. Wittgenstein lehnt daher jede Form von Jargon ab,
äußert sich fast ausschließlich in Alltagsbegriffen. Er tut dies, um im
Gründlicheren zu bleiben, da alle Terminologien bereits Abkömmlinge dieses Nährgrunds
sind. Es ist ihm egal, was für „Bauten“ darauf errichtet werden, da diese bereits
etwas von einem Luftgespinst haben. Entscheidend für den Philosophen ist der
lebendige Urgrund – seine Bewegungen, denn er bleibt nie „mit sich identisch“.
Zwar verändert er sich selten blitzartig, jedoch wird er sachte mitgenommen wie
das Flussbett vom darin strömenden Wasser, wenn man es nicht zu sehr betoniert.
Nichts Selbstverständliches ist jemals bedeutungslos!
Wittgenstein braucht deswegen auch nur auf der Stelle stehen
zu bleiben und sich in die natürlichen Formen und Läufe seiner Umgebung zu
versenken, um in Stimmung zu kommen. Sein Philosophieren besteht in einem
unausgesetzten Zwiegespräch mit sich selbst, in dessen Verlauf er Fragen stellt
und den Antworten lauscht, die ihm der Werktag gibt: „Jeden Morgen muss man
wieder durch das tote Geröll dringen, um zum lebendigen, warmen Kern zu kommen“,
schreibt er in seinen Vermischten
Bemerkungen. „Beim Philosophieren muss man ins kalte Chaos hinabsteigen und
sich dort wohl fühlen [sic!].“
Die normale Welt, das Tor zur Bedeutung, wird seiner Meinung
nach erniedrigt, indem man sie vergleicht mit etwas angeblich Fundamentalerem
oder Wirklicherem wie der Metaphysik und ihrem Gott und ihrem die Welt
stellenden, vorsichtigen Denken. So wie wir heute das Diesseits von Physik oder
Mathematik für realer halten als die normale Menschenwelt, welche es auch
verändert, der seine Regeln aber allzeit entspringen.
Wittgensteins Methode, zu denken, verzichtete auf jede
Systematik, buchstabiert keine Regeln, es sei denn, man möchte die besinnliche
Auseinandersetzung ausschließlich in Alltagsworten eine Regel nennen: „Unsere
Zivilisation ist durch das Wort ‚Fortschritt‘ charakterisiert“, schreibt er dazu
in seinen Vermischten Bemerkungen. „Der
Fortschritt ist ihre Form, nicht eine ihrer Eigenschaften, dass sie
fortschreitet. Sie ist typisch aufbauend. Ihre Tätigkeit ist es, ein immer
komplizierteres Gebilde zu konstruieren. Und auch die Klarheit dient doch immer
nur dem Zweck und ist nicht Selbstzweck. Mir dagegen ist die Klarheit, die
Durchsichtigkeit, Selbstzweck. Es interessiert mich nicht, ein Gebäude
aufzuführen, sondern die Grundlage aller möglichen Gebäude durchsichtig vor mit
zu haben. Mein Ziel ist also ein anderes als das der Wissenschaftler &
meine Denkbewegung von der ihrigen verschieden.“
Wittgenstein charakterisiert damit seine Hinwendung zur
Alltagssprache nicht als Ausdruck von Bescheidenheit, sondern des Wunsches nach
echter Tiefe und Klarheit, welche bloße Abstraktion nicht liefern kann, sondern
nur das, worauf sie ruht und das sie nährt.
In seiner Logisch-philosophischen
Abhandlung (Tractatus) verblüfft
uns Wittgenstein mit folgender Behauptung: „Von zwei Dingen zu sagen, sie seien
identisch, ist ein Unsinn, und von Einem [sic!] zu sagen, es sei identisch mit
sich selbst, sagt gar nichts“ (Tractatus
5.5303).
Klar, zwei Steine zum Beispiel können nicht identisch sein,
sonst wären sie ja einer. Dass aber ein Ding mit sich selbst identisch sein
soll, ist ein merkwürdiger Gedanke, denn durch ihn wird etwas verdoppelt: Im
Ding ruht seine „Dingheit“: Ein Stein hätte eine Identität kraft seiner „Steinheit“.
Es wird auf diese Weise ein metaphysisches Schattenreich postuliert, in dem
alles, was es gibt, noch einmal existiert: als Rücksicht, zu deren Bestimmung
man aber auf nichts zeigen kann mit Ausnahme des Gegenstands, welcher sie deutet.
Solcher Art, meint Wittgenstein, wird weiter nichts gesagt.
Man kann mit anderen Worten gleich bei der Sache bleiben und deren „Prinzip“
vergessen.
Dinge haben – infolgedessen – keine Identität: nichts „Bestimmtes“,
das sie erst zu dem macht, was sie „unabänderlich“ sind.
Das trifft auch auf unser Selbst zu: „Das denkende,
vorstellende, Subjekt gibt es nicht“, behauptet er in der Logisch-Philosophischen Abhandlung 5.631.
Damit ist nicht gemeint, dass uns nichts durch den Kopf
geht. Vielmehr ist unser Gemüt im Gegenteil voller Gedanken und Vorstellungen.
Nur untermauern diese nichts Prinzipielles, meint Wittgenstein. Er will damit
zum Ausdruck bringen, dass bestimmte Bewusstseinsinhalte einen Menschen nicht „identifizieren“
oder unverwechselbar machen.
Das Auflösen des „Trugs“ sogenannter „Identität“ und die
darin liegende Kritik oder sogar Feindlichkeit gegenüber dem Ich sind weniger
philosophisch als religiös bestimmt, sie wollen zu „Selbstlosigkeit“ führen, zum
Beispiel im Buddhismus oder im „kenotischen Christentum“, dem zufolge der Herr
bei der Menschwerdung auf seine göttlichen Attribute verzichtete als Vorbild
für das „Leerwerden“ des menschlichen Ichs, an dessen Stelle die göttliche
Gnade treten soll. (Auch Dostojewski und vor allem Tolstoi, Wittgensteins
Lieblingsautor, stehen beispielhaft für den selbstlosen Geist der Entäußerung.)
Je länger man sich mit Wittgenstein beschäftigt, desto mehr
kommt man zu der Auffassung, dass es, will man echt bleiben, weder feststehende
Gegenstände oder Subjekte noch eine stabile Identität irgendeiner vorstellbaren
Sache geben kann. Dies ist – im Sinne Wittgensteins – jedoch nicht etwa
bedauerlich, sondern wird als Unmittelbarmachung des Lebens durch das
Ernstnehmen seiner mehrenden Möglichkeiten begrüßt. Nietzsche, der diese
Vorstellung anstieß, schreckte innerlich noch zurück vor der jähen Abwesenheit
des Prinzipiellen und sein Romantizismus hinderte ihn daran, die besinnliche Fülle
des Alltags, seiner Äußerungen und Entwicklungen als hinreichende Antwort auf
den „Tod Gottes“ oder der Metaphysik zu würdigen.
Ähnlich ging die Nietzsche folgende französische Philosophie
nach dem Zweiten Weltkrieg vor. Wittgenstein noch am nächsten verwandt unter
den jüngeren Philosophen dürften Martin Heidegger und Gilles Deleuze sein, der
dem Vorantreibenden ebenfalls den Vorrang gibt vor dem Feststehenden, nur dass
er als Kartesianer (wie alle französischen Philosophen) nicht die Geheimmechanismen
zu erraten vermag für dessen Entstehen, die überflüssig und irrelevant sind („Rhizom“
zum Beispiel heißt bei Wittgenstein „Sprache“). Deleuze hat Wittgenstein zum „Totengräber
der Philosophie“ erklärt, was insofern sogar zutrifft, als Wittgenstein das
Prinzipielle abtut. Andererseits dürfte Deleuze Wittgenstein kaum gelesen
haben, der jedoch seinerseits wiederum viele Philosophen nicht kannte und
seinen Studenten davon abriet, deren Werke zu lesen.
Ein anderer Denker, der Wittgenstein gleicht, ist Meister
Eckhart, dessen „Gelassenheit“ in der für Wittgenstein typischen Offenheit,
inneren Freiheit und „charakterlosen Denke“ wieder auflebt.
Wittgensteins Ziel, „der Fliege den Ausweg aus dem
Fliegenglas“ zu zeigen, ist erreicht, wenn man die Vorstellung aufgibt, ein
bestimmtes ICH zu sein, das über private Inhalte – mentale Gegenstände und Vorgänge
– verfügt. Stattdessen philosophiert man lieber selbstlos ohne Bestimmungen
bzw. Rücksichten, zum Beispiel auf Familie, Stamm, Nation, Klasse, Volk, Beruf,
Geschlecht oder Eigentum, zu dem auch Wissen und ICH zählen. Selbst die
Vorstellung des geistigen Eigentums löst sich so auf. „Tragen meine Bemerkungen
keinen Stempel an sich“, schreibt Wittgenstein im Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen, „der sie
als die meinen kennzeichnet, – so will ich sie weiter auch nicht als mein
Eigentum beanspruchen.“
„Ehrgeiz ist der Tod des Denkens“, heißt es in den Vermischten Bemerkungen – wobei man „Ehrgeiz“
ersetzen sollte durch „Ich“ sowie dessen „Besitztümer“ (Theorien,
Vorstellungen, Träume, Urteile, Wissensbestandteile).
Dadurch wird folgende Frage immer vordringlicher: Wenn man
absieht von der „Fiktion des ICH“, die nichts bedeutet, was macht den „befreiten“
Menschen denn dann noch aus?
Der Mensch ist sein Körper, zusammengefasst in seinem Gesicht
und dieses wiederum zusammengefasst in seinen Augen. Haltung, Gang, Stimme und
Kleidung machen ihn beseelt. Ebenso wie die Tatsache, dass er spricht.
„Wenn der Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht
verstehen“, lautet das berühmte Bonmot Wittgensteins. Warum können wir ihn nicht
verstehen? Weil sich sein Unterbewusstsein zu stark von unserem unterscheidet,
um uns in dessen Sprache, wenn es denn eine gäbe, hineinzufinden. Gleichzeitig gibt
es einige Gemeinsamkeiten, die wir durchaus nachvollziehen können: die elegante
Bewegung des Körpers, die königliche Ausstrahlung – eine innere „Katzenhaftigkeit“
könnten wir uns auch noch vorstellen. Nicht vorstellen könnten wir uns hingegen,
was es hieße, als sprechender Löwe auf der Welt zu sein, wie unser Geist oder unsere
Seele als Löwe beschaffen wären. (Ähnlich geht es einem, wenn man in eine
völlig fremde Kultur gerät. Wir können uns einen Löwen vorstellen, der deutsch
spricht. Aber „löwisch“, das fiele uns schwer …)
In seinen Tagebüchern
1914–16 schreibt Wittgenstein am 15.10.1916:
„Ist es wahr, dass sich mein Charakter nach der
psychophysischen Auffassung nur im Bau meines Körpers oder meines Gehirns und
nicht ebenso im Bau der ganzen übrigen Welt ausdrückt?
Hier liegt ein springender Punkt.
Dieser Parallelismus besteht also eigentlich zwischen meinem
Geist, i. e. dem Geist, und der Welt.
Bedenke nur, dass der Geist der Schlange, des Löwen, dein
Geist ist. Denn nur von dir her kennst du überhaupt den Geist.
Es ist nur freilich die Frage, warum habe ich der Schlange
gerade diesen Geist gegeben.
Und die Antwort hierauf kann nur in einem psychophysischen
Parallelismus liegen: Wenn ich so aussähe wie die Schlange und das täte, was
sie tut, so wäre ich so und so.
Das Gleiche beim Elefanten, bei der Fliege, bei der Wespe.
Es fragt sich aber, ob nicht eben auch hier wieder (und gewiss
ist es so) mein Körper mit dem der Wespe und der Schlange auf einer Stufe steht …
Ist das die Lösung des Rätsels, warum die Menschen immer
glaubten, ein Geist sei der ganzen Welt gemein?
Und dann wäre er freilich auch den unbelebten Dingen
gemeinsam.“
Man sieht mit
anderen Worten das Leben in seinen Gestalten; die Kreaturen sind ebenso
beseelte Körper wie verkörperte Seelen.
„Körper“ und „Geist“ im herkömmlichen Sinn schließen
einander aus und können nie zusammenfinden – eine von ihrer Erscheinung her
ausdrucksstarke Gestalt jedoch sowie ein sprechendes Bewusstsein können sich in
einem Körper vereinen. Und dieser ist der Mensch: sein Wesen und seine
Möglichkeiten.
Der späte Wittgenstein denkt nicht abstrakt, sondern in
Bildern bzw. Metaphern.
Zum Beispiel schreibt er in Zettel 452: „Wie kommt es, dass die Philosophie ein so
komplizierter Bau ist? Sie sollte doch gänzlich einfach sein, wenn sie jenes
Letzte, von aller Erfahrung Unabhängige, ist, wofür du sie ausgibst. – Die
Philosophie löst Knoten auf in unserem Denken: daher muss ihr Resultat einfach
sein, das Philosophieren aber so kompliziert wie die Knoten, welche es auflöst.“
Was er hier sagen will, wird vermittelt durch die Metapher
des „Knotens“ – im Folgenden durch jene des „Netzes“:
„Die Menschen sind im Netz der Sprache verstrickt und wissen
es nicht“ (Philosophische Grammatik
462).
Ein weiteres Beispiel stammt aus den Vermischten Bemerkungen:
„Die Gefahr eines langen Vorwortes ist, dass der Geist des
Buches sich in ihm zeigen muss und nicht beschrieben werde kann. Denn ist ein
Buch nur für wenige geschrieben, so wird sich das eben dadurch zeigen, dass nur
wenige es verstehen. Das Buch muss automatisch die Scheidung derer bewirken,
die es verstehen und die es nicht verstehen. Auch das Vorwort ist eben für
solche geschrieben, die das Buch verstehen.
Es hat keinen Sinn, jemandem etwas zu sagen, das er nicht
versteht, auch wenn man hinzusetzt, dass er es nicht verstehen kann. (Das
geschieht oft mit einem Menschen, den man liebt.)
Willst du nicht, dass gewisse Menschen in ein Zimmer gehen,
so hänge ein Schloss vor, wozu sie keinen Schlüssel haben. Aber es ist sinnlos,
mit ihnen darüber zu reden, außer du willst doch, dass sie das Zimmer von außen
bewundern!
Anständigerweise hängt ein Schloss vor der Türe, das nur die
anzieht, die es öffnen können und den anderen nicht auffällt.
Aber es ist richtig zu sagen, dass das Buch meiner Meinung
nach mit der fortschreitenden europäischen und amerikanischen Zivilisation
nichts zu tun hat.“
Die Aussage seiner Rede liegt hier in der Metapher des „Schlosses“
zu einem „Zimmer.“
Diese Ausdrucksweise – alltagssprachlich und in Sinnbildern
– führt dazu, dass jene, die „metaphysischere“ Ausdrücke gewohnt sind, dazu
neigen, Wittgenstein nicht ernst zu nehmen oder für lächerlich zu halten.
Dies geschieht vor allem aus der Sicht des stellenden Stils,
eines Abkömmlings von Mathematik und Logik.
Aus dieser Warte geschriebene Philosophie versucht,
möglichst inhaltsfrei zu bleiben, wie es Wittgenstein selbst in seinem Frühwerk
tut, das diesen Gestus auf die Spitze treibt (womöglich sogar parodiert). Die
Überzeugung besteht hier darin, dass das Grundsätzliche in der Abstraktion
herauskommt, am besten anhand von Algorithmen, und nicht etwa in Gestalt von Kultur
und Ritus. Wer dieser Überzeugung anhängt, beginnt den Mathematikunterricht
schon bei kleinen Kindern mit der Mengenlehre, statt sie „Äpfel“ und „Schafe“
zählen zu lassen, und lehrt, dass unsere denkerischen Wurzeln am besten durch künstlich
intelligente Maschinen vorgestellt werden, deren genaue Verläufe nur eine neue
Priesterkaste von Fachleuten hinbekommt.
„Denn wenn wir auch in unsern Untersuchungen das Wesen der
Sprache – ihre Funktion, ihren Bau – zu verstehen trachten“, charakterisiert
Wittgenstein den abstrakten Ansatz, „so ist es doch nicht das, was diese Frage
im Auge hat. Denn sie sieht in dem Wesen nicht etwas, was schon offen zutage
liegt und was durch Ordnen übersichtlich wird. Sondern etwas, was unter der
Oberfläche liegt. Etwas, was im Innern liegt, was wir sehen, wenn wir die Sache
durchschauen, und was eine Analyse hervorgraben soll.“
Das rechnende, stellende Denken hat einen „Röntgenblick“,
indem es versucht, den „Knochenbau“ seines Gegenstands zu erfassen und zu
zerlegen (etwa die Schemata und Kategorien des Denkens sowie die Staffelung
seiner Begriffe).
Wittgenstein meint dagegen, was eigentlich zähle, liege
schon „offen zutage“ und würde „durch Ordnen“ übersichtlich. Die westliche
Metaphysik versucht demgegenüber, „unter die Oberfläche“ zu schauen, wo sie
nach den Fundamenten gewissermaßen im Keller sucht, der ausgeleuchtet werden
muss. Dabei liegt, was wir wirklich brauchen – im Keller liegt schon auch
etwas, nur benötigen wir es in der Regel nicht –, in unserem Blickfeld. Statt
weiter Phantomen und Trugbildern hinterherzujagen, müssten wir uns nur einmal vorurteilsfrei
umschauen.
Seine neue Methode beschreibt Wittgenstein im 108. Abschnitt
der Philosophischen Untersuchungen
wie folgt:
„Wir erkennen, dass, was wir ‚Satz‘, ‚Sprache‘, nennen,
nicht die formelle Einheit ist, die ich mir vorstellte, sondern die Familie
mehr oder weniger miteinander verwandter Gebilde. – Was aber wird nun aus der
Logik? Ihre Strenge scheint hier aus dem Leim zu gehen. – Verschwindet sie
damit aber nicht ganz? – Denn wie kann die Logik ihre Strenge verlieren?
Natürlich nicht dadurch, dass man ihr etwas von ihrer Strenge abhandelt. – Das
Vorurteil der Kristallreinheit kann nur so beseitigt werden, dass wir unsere
ganze Betrachtung drehen. (Man könnte sagen: Die Betrachtung muss gedreht
werden, aber um unser eigentliches Bedürfnis als Angelpunkt.)
Die Philosophie der Logik redet in keinem andern Sinn von
Sätzen und Wörtern, als wir es im gewöhnlichen Leben tun, wenn wir etwa sagen ‚hier
steht ein chinesischer Satz aufgeschrieben‘, oder ‚nein, das sieht nur aus wie
Schriftzeichen, ist aber ein Ornament‘ etc.
Wir reden von dem räumlichen und zeitlichen Phänomen der
Sprache; nicht von einem unräumlichen und unzeitlichen Unding. [Randbemerkung.
Nur kann man sich in verschiedener Weise für ein Phänomen interessieren.]“
Der entscheidende Sinn liegt hier in „unser eigentliches
Bedürfnis“; wenn uns philosophische Probleme plagen, werden wir nicht
befriedigt durch weitere Berechnungen, sondern nur durch „vollständige Klarheit“,
die sich einstellt, wenn wir das besinnliche Verhältnis von Worten in den Blick
nehmen.
„Richtig war, dass unsere Betrachtungen nicht
wissenschaftliche Betrachtungen sein durften […]. Und wir dürfen keinerlei
Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unsern Betrachtungen sein.
Alle Erklärung muss fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese
Beschreibung empfängt ihr Licht, d. i. ihren Zweck, von den
philosophischen Problemen.“
Was unser Bedürfnis angesichts eines philosophischen
Problems befriedigt, ist dessen Auflösung ins Selbstverständliche normal
menschlicher Intelligenz, sodass wir danach mit keinem Verwirrungsersatz
zurückbleiben. Das übersichtlicher Machen „durch Ordnen“ heißt, beispielsweise zu
sagen: „Jene Benennung, Vorstellung, Wortverwendung gehört in der Normalsprache
zu dieser hier und nicht, wie du ursprünglich dachtest, zu der dort.“ „Schmerz“
ist zum Beispiel nicht wie „Stuhl“ der Name für einen Gegenstand, den er bezeichnet,
sondern ersetzt den Ausruf „Aua“. Oder stellt euch „Gewissheit“ nicht als
höheren Grad des Wissens oder Glaubens vor, sondern als Vertrauen in die
Zuverlässigkeit von Gepflogenheiten. Stellt euch Rituale nicht als erfolglose
Versuche vor, die Natur zu kontrollieren, sondern wie Tänze als menschliche
Gesten oder körperliche Antworten auf bedeutende Angelegenheiten oder
Erscheinungen.
Wittgenstein verwirft die Vorstellung der Notwendigkeit von
Grundlagen und erinnert uns daran, dass wir uns allzeit in einem „zünftigen“ Zusammenhang
bewegen, dem alle Bedeutung entspringt, auch jene, die in Verallgemeinerungen
liegen mag, welche seine Erweiterungen sind, ihm jedoch nichts Fundamentales bringen.
Die Therapie, um unser Verständnis der Quelle aller
Bedeutung dort, wo es leidet, zu heilen, besteht daher nicht in der Konsultierung
ihrer abstrakten Auswüchse, sondern in der begrifflichen Aufhellung durch das
Mittel des Sinnbilds.
Die Metapher ist deswegen besonders geeignet, weil sie auf
der Bedeutungsebene ansetzt. Die Verbindungen, welche sie stiftet, stellen
frische Wahrheiten heraus. Die Grammatik wird dadurch freilich nicht entlang
irgendeines Standards ausgerichtet, sonst würde sich die Metaphysik ja wieder einschleichen.
Vielmehr wird dem gesunden Menschenverstand im Namen der Grammatik – durch neu
erscheinende Verbindungen – gestattet, wieder ins Licht zu treten.
Wittgenstein ruft uns ins Gedächtnis, dass planerischen Fähigkeiten,
die sich dazu eignen, die Natur zu überwältigen, nicht erlaubt werden sollte,
das wesentlich menschliche und weder serielle noch anwendungsbezogene, noch weltanschauliche
Tun zu ersetzen, noch den ihnen zugrundeliegenden gesunden Menschenverstand,
welchen die Grammatik unserer normalen Sprache verkörpert.
Das Philosophieren Wittgensteins dreht sich in erster Linie
um BEDEUTUNG und weniger um ERKENNTNIS. „Was ist wahr?“ tritt zurück hinter „Was
ist erheblich?“. Es geht Wittgenstein dabei weniger um einen klugen als um einen
klaren Kopf.
Als Sitz echter Bedeutung umkreist Wittgenstein das
menschliche Miteinander, verkörpert im unbedachten Alltag und seiner Sprache,
welche Wittgenstein mit einem Fluss und dessen Bett vergleicht, die sich
unausgesetzt aneinander ausbilden. Das Schöpfen von Bedeutung findet dabei in
unmittelbaren, sich einbürgernden oder wieder in Vergessenheit geratenden „Flusswirbeln“
statt, die etwas Spielerisches haben, also mindestens zwei Menschen einbeziehen
und von Wittgenstein daher im Wahrzeichen des „Sprachspiels“ zusammengefasst
werden.
Es gibt unendlich viele – akute wie mögliche – Sprachspiele.
Eine mächtige Familie derselben hat mit „Behauptung“ zu tun und entwickelt sich
in der alles erklärenden Metaphysik sowie deren Verästelungen Mathematik,
Wissenschaften, Technik, Ideologie usw. Ihnen gemeinsam ist, dass sie die Welt planenden
Standards anpassen, was ihnen in vielen Fällen auch gelingt. Hierbei kommt es dahin
gehend zu der Verwirrung, dass diese Prinzipien – nicht der menschliche Alltag,
das „Unbewusste“, welchem sie ihre Geburt verdanken – Träger aller Bedeutung
sind. Wittgenstein versucht, diese in seinen Augen verhängnisvolle
Fehleinschätzung aufzudecken, die zur Folge haben kann, dass entartende „Machenschaften“
unserer Lebensform diese erledigen.
Sein Unterfangen ist so schwierig, wie einen heutigen
Intellektuellen davon zu überzeugen, dass die Mathematik ihre Geltung der
Gewohnheit und nicht irgendetwas Unverbrüchlichem verdankt. Was Wittgenstein an
der Philosophie faszinierte, war sein innerer Wunsch, die Mathematik zu
rechtfertigen. Was er dabei herausbrachte, bildet den Körper seiner
Philosophie, deren mathematische Teile zu umstürzlerisch sind, um momentan
ernst genommen zu werden.
Unter den Philosophen kommt als Einziger Heidegger an
Wittgenstein heran. Was aber unterscheidet die beiden?
Heidegger ist sich wie Wittgenstein unserer unmittelbaren
Umgebung und deren selbstverständlicher Verläufe als Sitz und Quelle echter
Bedeutung bewusst. Als trainierter Philosoph fragt er sich jedoch, wieso es
dies alles – das Universum und seine Möglichkeiten – gibt und „nicht vielmehr
nichts“, während der ursprüngliche Ingenieur Wittgenstein entzückt die Hände
zusammenschlägt angesichts des Wunders sowie der Möglichkeiten solcher
Schöpfung.
Heidegger will „das Sein“ gerechtfertigt wissen und kommt
deswegen letztendlich nur zum „Warten“ und nie an den Punkt, „mit den Augen zu
denken“. Im Stil Wittgensteins drängt sich einem als Gegenbild das Theater auf:
Wir müssen die Komödie zu Ende spielen und das Unglück ermüden. Während
Heidegger sich fragt, wer der Autor des Spielplans sein könnte und woher unsere
Einfälle auf der Bühne kommen, graut es Wittgenstein davor, eine „erbärmliche
Aufführung“ zustande zu bringen, das Repertoire bedeutender Möglichkeiten
verkümmern zu lassen. Dafür, scheint er zu befürchten, könnten wir einmal zur
Rechenschaft gezogen werden, wenn nicht in dieser, dann in einer anderen Welt.
Heidegger urteilt wie Wittgenstein skeptisch über die
Technik, wenn sie dazu übergeht, ergänzende Möglichkeiten menschlichen Seins und
Glücks auf Diät zu setzen (zum Beispiel den Sinn fürs Rituelle, der heute nur
noch in scheckigen Tätowierungen zum Ausdruck kommt).
Heideggers Frustration lässt sich gegenwärtig besser
nachvollziehen als Wittgensteins latente Begeisterung (die eher in Deleuze weiterlebt).
Sie gehört in eine Zukunft, in welcher das heutige Selbst verschwunden ist – nicht
in einen Roboter, sondern in eine integrierte Subjektivität, welche nicht
länger im Ich und seinen Geschäften stattfindet. Wittgenstein graut davor, dass
wir es nicht bis dorthin schaffen könnten, denn es gibt keine sichtbare Brücke,
nur das brennende Bedürfnis nach dem einzigen noch möglichen Ausweg.
Heidegger wartet auf die Erlösung vom Nichts durch das Sein
– während Wittgenstein uns die Augen für das am nächsten Liegende und
Offensichtlichste öffnen will.